20 Jahre Insolvenzordnung (InsO) – Entwicklung aus Sicht der Sozialen Schuldnerberatung

Die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) ist der Zusammenschluss der Wohlfahrtsverbände mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung (BAG-SB) und der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). Sie vertritt die Interessen der ihr angeschlossenen Schuldnerberatungsstellen und begleitet die InsO seit ihrer Verabschiedung am 05. Oktober 1994. Im Zuge dessen nahm auch der Arbeitskreis Insolvenzordnung (AK InsO) der AG SBV seine Arbeit auf und es wurden im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte diverse Stellungnahmen und Positionspapiere zu aktuellen Themen rund um die InsO veröffentlicht.

20 Jahre Insolvenzordnung sind aus Sicht der AG SBV InsO ein Zeitraum, in welchem viel für Schuldnerinnen und Schuldner erreicht werden konnte. Ein oft allzu kritischer Blick auf die Entwicklungen, häufig begleitet mit den Worten „Dauerbaustelle Insolvenzordnung“ oder „Die Insolvenzordnung kommt nicht zur Ruhe“ verkennt, dass es neben der unverzichtbaren Möglichkeit einer Entschuldung darüber hinaus durchaus gewinnbringende Fortentwicklungen zu verzeichnen gibt. Die Veränderungen durch die zum Insolvenzrecht ergangene Rechtsprechung und die Reformen brachten für die am Verfahren Beteiligten immer auch Erleichterungen, Vorteile und Chancen zur Weiterentwicklung und Professionalisierung.

Das Jubiläum bietet Gelegenheit, Rückschau zu halten und die Entwicklung der InsO mit besonderem Blick auf die soziale Schuldnerberatung zu beleuchten.

Kostenstundung Zugang zum Verfahren

Mit Einführung der InsO zunächst ohne eine Stundung der Verfahrenskosten und damit für viele auch ohne die Möglichkeit, sich die Abwicklung eines Insolvenzverfahrens leisten zu können, blieb der erwartete Ansturm auf das neue Insolvenzverfahren anfangs aus. In den ersten 3 Jahren wurden weniger als 20.000 Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Die sich deutschlandweit unterschiedlich entwickelnde Rechtsprechung zu der Frage, ob Prozesskostenhilfe zu gewähren sei, beendete der BGH mit einem „Nein“. Die daraufhin mit dem Insolvenzrechtsänderungsgesetz eingeführte Stundung der Verfahrenskosten zum 1.12.2001ermöglicht bis heute auch mittellosen Schuldnerinnen und Schuldnern den Zugang zum Verfahren und damit die Chance auf einen schuldenfreien Neuanfang. Die Stundung kann daher zu Recht als echte Geburtsstunde des Privatinsolvenzrechts bezeichnet werden. Dies zeigte sich auch bei den Insolvenzzahlen, die danach rapide anstiegen. Sie stiegen 2002 von knapp 20.000 bis auf über 106.000 Verfahren im Jahr 2010. In den letzten Jahren haben rd. 1,3 Mio Betroffene die Möglichkeit genutzt, mit Hilfe des Verbraucherinsolvenzverfahrens die Restschuldbefreiung zu erhalten. Der bedingungslose Zugang durch die Stundung der Kosten ist somit ein unverzichtbares Mittel, um das Verfahren einer breiten Masse zugänglich zu machen und damit eine der wichtigsten Entwicklungen in der Geschichte der InsO. Die Kostenstundung war den Verbänden daher immer ein zentrales Anliegen, das ständig im Vordergrund stand und auf deren Erhalt immer hingewirkt wurde.

Insolvenzverfahren als eine Möglichkeit zur Entschuldung

Seit ihrem Inkrafttreten regelt die InsO den Ablauf des Verbraucherinsolvenzverfahrens. Es handelt sich um ein einheitliches Verfahren für alle Antragstellerinnen und Antragsteller. Das System bietet kaum individuelle Abweichungen, es läuft nach den im Gesetz vorgegebenen Schemata ab. Angemeldete Forderungen werden bedient, Mitwirkungspflichten sind geregelt und Obliegenheiten sind zu erfüllen. Am Ende wird die Restschuldbefreiung erteilt.

Ein gerichtliches Insolvenzverfahren zu durchlaufen ist eine Option mit dem Ziel der Schuldenregulierung. Die Praxis der Schuldner- und Insolvenzberatung hat über die zurückliegenden Jahre gezeigt, dass die InsO nicht für alle Schuldnerinnen und Schuldner der Königsweg ist. Dabei konnte auch auf Erfahrungen aus vielen Jahren der Praxis vor Einführung des Insolvenzverfahrens zurückgegriffen werden. Es haben sich Wege bewährt, die auch ohne ein eröffnetes Insolvenzverfahren mit der Gläubigerseite zu Einigungen führen, und die zugleich auch die Gerichte entlasten und Kosten sparen. Es sind diese stillen und leisen Wege, wie der außergerichtliche Einigungsversuch (AEV) und auch das gerichtliche Schuldenbereinigungsplanverfahren, die mit Unterstützung der Schuldnerberatung den Schuldnerinnen und Schuldnern zur Verfügung stehen. Wenn finanzielle Mittel auf Schuldnerseite bereitgestellt werden können und die Gläubigeranzahl überschaubar ist, ermöglicht der außergerichtliche Einigungsversuch passgenaue Angebote. Die gesetzlichen Vorgaben zur Durchführung eines erfolgreichen Insolvenzverfahrens können hier auch Parameter sein, die zu einer außergerichtlichen Einigung motivieren.

Das „Recht auf Restschuldbefreiung“

Mit der Einführung der Insolvenzordnung gibt es die für natürliche Personen erstmals in der deutschen Rechtsgeschichte die Möglichkeit, von ihren Schulden befreit zu werden. Die Restschuldbefreiung hat gegenüber der vorherigen lebenslangen Haftung eine sehr positive Auswirkung für Schuldnerinnen und Schuldner und ist ein im Gesetz verankerter Rechtsanspruch.

Es schafft für alle Menschen die Chance auf einen sozialen und wirtschaftlichen Neuanfang. Gleichwohl ist das Thema Überschuldung nach wie vor mit Scham behaftet. Langfristige Schufaeinträge und die negative Scorebewertung selbst bei erteilter Restschuldbefreiung erschweren zudem einen wirtschaftlichen Neubeginn erheblich. Die Speicherfristen bei der Schufa sollten deshalb verkürzt und an die Fristen der Insolvenzbekanntmachungen angepasst werden.

Die Zusammenarbeit von Gerichten, Verwalterbüros und sozialer Schuldnerberatung

Am Anfang arbeiteten die mit der InsO befassten Stellen für sich: die Gerichte, die Verwalterbüros und auch die soziale Schuldnerberatung.

Die Beteiligten leisteten nebeneinander ihren Beitrag zum Verfahrensablauf.

Doch die Jahre brachten Veränderung. Aus dem Nebeneinander wurde ein Miteinander. Heute findet bundesweit der Austausch statt, Schuldnerberatungsstellen greifen zum Telefon und haben Kontakt zu Gerichten und den Verwalterbüros. Es gibt deutschlandweit regionale, wiederkehrende runde Tische mit teilnehmenden Gerichten, Insolvenzverwalterinnen und – verwaltern, sowie Praxisforen, in denen aktuelle Themen gemeinsam erörtert werden. Der Blick für das jeweils andere Arbeitsfeld schärfte sich. Gegenseitiger Respekt ist gewachsen und damit einher ging die Wertschätzung der Arbeit Sozialer Schuldnerberatung. Aus dem Nebeneinander hat sich eine Kultur des miteinander Redens entwickelt, die heute beinah selbstverständlich ist.

Soziale Schuldnerberatung als Garant für ein erfolgreiches und nachhaltiges Insolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung

Die Arbeit der Schuldnerberatung hat sich im Laufe der vergangenen 20 Jahre verändert. Die Zahl der überschuldeten Menschen ist konstant hoch. Zwar zeigt der Schuldneratlas Deutschland 2019 der Creditreform, dass die Zahl der überschuldeten Deutschen gegenüber dem Vorjahr geringfügig abgenommen hat. Doch es gibt deutliche Steigerungen beim Anteil der Frauen und älteren Menschen. Auch die Wohnkosten sind kaum noch zu bezahlen und tragen zur Überschuldung bei. Zudem werden zunehmend auch Kredite für kleinere Konsumgüter aufgenommen.

Das Arbeitsfeld ist rechtlicher geworden, was Vor- und Nachteile birgt. Das Soziale in Verbindung mit dem Rechtlichen zu sehen und das Soziale durch das gewachsene Rechtliche nicht aus dem Blick zu verlieren, ist heute die Herausforderung für die Soziale Schuldnerberatung. Die Probleme vieler Überschuldeter sind zudem in den vergangenen 20 Jahren komplexer geworden, die Anforderungen an psychosoziale Beratung sind deutlich und in der Beratung spürbar gestiegen.

Die soziale Schuldnerberatung musste sich verändern, um den veränderten Bedürfnissen gerecht zu werden. Im Zuge der InsO hat die Schuldnerberatung eine wichtige im Gesetz verankerte Funktion als geeignete Stelle bekommen.

An vielen Stellen in der Beratung gibt sie den Überschuldeten wichtige und wertvolle Entscheidungshilfen.

Die Klienten dort abholen, wo sie stehen, ist nicht nur eine leere Worthülse. Die Soziale Schuldnerberatung vermittelt komplexe Verfahrensabläufe und übersetzt sie für verschiedentliche Lebensbiografien. Sie kann Schaltstelle und auch Mediatorin zwischen Gläubiger- und Schuldnerseite sein. Sie ist Vermittlerin zwischen Insolvenzgericht, Verwalterbüro und dem Schuldner. Gerade im Rahmen eines justizförmigen, streng formalisierten Verfahrens ist dies unerlässlich, da die Lebenswege der Schuldner oftmals nicht in dieses enge Korsett passen und Fragen aufgeworfen werden, die sich nicht nur einfach „aus dem Gesetz“ beantworten lassen. Den Schuldner in seinen gesamten Lebenszusammenhängen zu begreifen und passgenaue Beratung anzubieten, macht den Wert der Sozialen Schuldnerberatung aus.

So erkannte das Bundesverfassungsgericht frühzeitig, dass Schuldnerberatungsstellen wegen ihres umfassenden Ansatzes für die Durchführung des außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuchs nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht nur geeignet, sondern regelmäßig auch besonders qualifiziert sind.

20 Jahre InsO sind geprägt von gewachsener Wertschätzung der Arbeit der sozialen Schuldnerberatung. Diese Arbeit wird allenthalben als unverzichtbar angesehen.

Die Unterstützung im außergerichtlichen Einigungsversuch bis hin zur gesetzlichen Möglichkeit, auch die Verfahrensvertretung übernehmen zu können, zeugt von Respekt und Anerkennung qualitativ hochwertiger Arbeit der Beratungsstellen.

Soziale Schuldnerberatung ist somit viel mehr als nur das Ausstellen einer Bescheinigung. Jeder weiß inzwischen, dass eine Nachhaltigkeit in der Entschuldung nur erzeugt werden kann, wenn man viele Problematiken bereits / schon im Vorfeld der InsO klärt.

Offener Zugang für alle – Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung

Für die Zukunft bleibt noch viel zu tun: Die Schuldnerberatung nimmt immer öfter hoheitliche Aufgaben wahr. Sie stellt die erforderliche Bescheinigung für die Beantragung des Verbraucherinsolvenzverfahrens aus und leistet einen wesentlichen Beitrag zur Existenzsicherung durch die Bescheinigungen beim Pfändungsschutzkonto. Noch nicht erreicht ist vor allem ein bundesweit niedrigschwelliger, offener Zugang zu einer zeitnahen Beratung für alle von Überschuldung betroffenen Personen. Dies scheitert bislang an einer auskömmlichen Finanzierung, die bis heute vielfach nicht gesichert, zudem leider häufig uneinheitlich und / oder nicht langfristig angelegt ist. Dies ist sehr bedauerlich, da jeder in die Schuldnerberatung investierte Euro eine sehr gute und lohnenswerte Investition ist. Die AG SBV fordert deshalb einen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung für alle Ratsuchenden.

Die Wirksamkeit der Sozialen Schuldnerberatung ist mittlerweile vielfach belegt. Sie leistet einen wesentlichen Beitrag dazu, die wirtschaftliche Existenz der Schuldnerinnen und Schuldner sowie ihrer Angehörigen zu sichern. Durch Beratung und Kompetenzvermittlung werden die Ratsuchenden darin unterstützt und in die Lage versetzt, ihre Lebenssituationen perspektivisch selbstständig zu bewältigen. Gleichzeitig wird im Rahmen präventiver Maßnahmen einer erneuten Überschuldung vorgebeugt. Die Soziale Schuldnerberatung wirkt in vielen Fällen direkt armutsvermeidend.

Verschiedene Studien zeigen außerdem, dass jeder in die Schuldnerberatung investierte Euro eine sehr gute und lohnenswerte Investition ist. Dennoch ist die Finanzierung bis heute nicht bundesweit allerorts gesichert, zudem leider häufig uneinheitlich und / oder nicht langfristig.

In diesem Sinne sollte das Jubiläum Ansporn sein, mit den Bemühungen um die Absicherung und den Ausbau Sozialer Schuldnerberatung nicht nachzulassen!

Verfasst in: Meldungen, PositionenTags: