Der Bericht beschreibt die gesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Verteilungsergebnisse im Berichtszeitraum (Teil A), beschäftigt sich ausführlich mit den materiellen Lagen und ihrer Verteilung (Teil B), beschreibt Lebenslagen, die eine wichtige Rolle für das Wohlergehen sowie die Teilhabe- und Verwirklichungschancen von Menschen in Deutschland spielen (Teil C) und beinhaltet eine umfassende Darstellung und Erläuterung der Sozialindikatoren, die die Grundlage für die Berichterstattung sind.
Die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) begrüßt es, dass im vorliegenden Entwurf zum sechsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung das Thema Verschuldung und Überschuldung wieder in eigenen Abschnitten Berücksichtigung findet. In dem vorliegenden Entwurf wurden neben den Daten der Creditreform auch die in den Schuldnerberatungsstellen erhobenen Daten des Statistischen Bundesamtes berücksichtigt. Eine Vermischung der Daten aus beiden Quellen ist wegen der unterschiedlichen Erhebungsweise aus unserer Sicht jedoch nicht zulässig und findet im Bericht erfreulicher Weise nicht statt.
Auch aus Sicht der Schuldnerberatung wird in Folge der COVID-19-Pandemie mit einem An- stieg von überschuldeten Verbraucher_innen zu rechnen sein. Eine tiefergreifende Analyse zur Überschuldungsproblematik fehlt im Bericht jedoch. Sich zu verschulden ist längst ein normaler Vorgang des Wirtschaftslebens geworden und somit stellt das Thema Überschuldung kein Randphänomen dar. Neben den Daten der Creditreform gibt es aktuell keine empirischen Untersuchungen, die umfangreiche und belastbare Zahlen belegen.(Vgl. Dieter Korczak, Sally Peters, Hanne Roggemann: Private Überschuldung in Deutschland, Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2021, Seite 7)
Die Daten des Statistischen Bundesamtes sind zwar deutlich weniger repräsentativ, da sich regional die Schuldnerberatungsstellen nur sehr unterschiedlich an der Statistik beteiligen. Dem gegenüber können die Datensätze der Creditreform lediglich Aussagen zur Schuldner- zahl und zur Schuldenhöhe machen. Weitergehende aussagekräftige Indikatoren zur sozialen Situation überschuldeter Personen/Haushalte werden von der Creditreform nicht geliefert. Die AG SBV fordert seit langem eine unabhängige und repräsentative Untersuchung zum Thema Überschuldung, sowie, dass entsprechende politische Konsequenzen aus den Ergebnissen erfolgen.
Kritisch sehen wir, dass im Armuts- und Reichtumsbericht lediglich die Zahl der Personen mit harten Negativmerkmalen von 3,82 Mio. angegeben wird. Der Fachdiskurs stützt sich hinge- gen regelmäßig auf die Zahl von 6,85 Mio. überschuldeten Menschen, der auch von der Creditreform erhoben wird.
Die rückläufigen Zahlen zu den Verbraucherinsolvenzverfahren bedürfen einer Erläuterung. Es könnte der Eindruck einer sinkenden Überschuldungsquote entstehen. Die Zahl der Über- schuldeten ist allerdings in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen und erst in den letzten Jahren ist es zu einer Stabilisierung auf hohem Niveau gekommen. Die rückläufigen Verbraucherinsolvenzen sind auf vielfältige Ursachen zurückzuführen. Ein wesentlicher Faktor ist, dass die Beratungsfälle zunehmend komplexer werden, die Beratungskapazitäten aber nur sehr begrenzt und zudem nicht mit der Nachfrage gewachsen sind.
Ebenfalls kritisch ist anzumerken, dass im Bericht erneut der Überschuldungsauslöser „unwirtschaftliche Haushaltführung“ diskutiert wird. (Seite 94, lange Fassung). Die AG SBV kritisiert seit längerem, dass dieses Item der Bundesstatistik eine subjektive Bewertung darstellt, die wenig bis gar keine differenzierten Aussagen zum Konsum oder Ausgabenverhalten der Verbraucher_innen zulässt. Gerade jüngere Überschuldete sind seltener von den anderen Hauptindikatoren der Statistik, wie z. B. Krankheit, Tod etc. betroffen, so dass der Indikator unwirtschaftliche Haushaltsführung bei dieser Gruppe zwangsläufig stärker ins Gewicht fällt. Zudem haben wir Hinweise, dass dieser Indikator in Ermangelung geeigneterer Indikatoren manchmal von den Beratungsstellen ausgewählt wird, wenn der Auslöser der Überschuldungsituation nicht klar bestimmbar ist.
Im Bericht wird erläutert, dass durch das Pfändungsschutzkonto-Fortentwicklungsgesetz (PKoFoG) ein Instrument der Verhinderung der Verschuldung geschaffen wurde (S. 120 des ARB, lange Fassung). Diese Aussage ist nach unserer Ansicht zu optimistisch. Von der AG SBV wird die Umsetzung des PKoFoG zwar begrüßt, aber Verschuldung kann dadurch nicht wirklich verhindert werden. Das P-Konto wird lediglich von Verbraucher_innen genutzt die bereits überschuldet sind und dient dem Pfändungsschutz. Es ist ein gutes Instrument der Existenzsicherung der Ratsuchenden, aber nicht der Schuldenprävention.
Abschließend weisen wir darauf hin, dass eine Überschuldungssituation wesentlich mehr beinhaltet als die nicht mehr bezahlbaren Zahlungsverpflichtungen. Auswirkungen sind sowohl für die Betroffenen als auch für Angehörige/Familien erheblich. Die Covid-19-Pandemie verdeutlicht wie ein Brennglas, dass die Betroffenen durch die Wechselfälle des Lebens (Arbeitslosigkeit, Scheidung, Trennung, Krankheit, …) in die Schuldenfalle geraten. Überschuldete Menschen brauchen deshalb persönliche Hilfe und individuelle Unterstützung. Daher wird die Feststellung, dass ein „Bedarf an individualisierter, lebensweltorientierter Schuldnerberatung“ (Seite 95, ARB, lange Fassung) besteht von uns begrüßt, unterstützt und bekräftigt. Die bestehenden Beratungskapazitäten reichen nicht aus. Ebenso wenig haben alle überschuldeten Menschen einen offenen und kostenlosen Zugang zur Beratung. Erforderlich ist deshalb ein gesetzlicher Anspruch auf Zugang zur Schuldnerberatung für alle Ratsuchenden, den die AG SBV bereits seit längerem fordert. Die aktuelle Debatte zur Reform des SGB II und XII böte eine gute Gelegenheit, diesen Zugang in einem neuen § 68a SGB XII „Hilfe bei Überschuldung“ zu verankern.