Das Ausstellen von Bescheinigungen durch anerkannte Schuldnerberatungsstellen.

Reform des Kontopfändungsrechtes seit dem 1.7.2010. Das Ausstellen von Bescheinigungen durch anerkannte Schuldnerberatungsstellen.Erhebung der Praxis im Zeitraum 1.7.2010 bis 30.6.2011

Die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) hat alle Schuldnerberatungsstellen aufgerufen, für die Zeiträume Juli bis Dezember 2010 und Januar bis Juni 2011 die eigene Bescheinigungspraxis mittels eines Erfassungsbogens zu dokumentieren. Die Erhebung wurde vom AK Girokonto und Zwangsvollstreckung der AG SBV durchgeführt und ausgewertet.

In Folge sollen die Ergebnisse dargestellt und interpretiert werden.

Um eine Bescheinigung oder eine Folgebescheinigung korrekt ausstellen zu können, muss geprüft werden:

  1. Welche gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen bestehen?
  2. Werden diese gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen regelmäßig erfüllt (natural oder per Zahlung)?
  3. Werden vom Kontoinhaber Leistungen für Mitglieder der eigenen Bedarfsgemeinschaft nach SGB II oder SGB XII entgegengenommen?
  4. Gehen auf dem Konto Körperschadensausgleichsrenten gemäß § 850 k Abs.2 Nr.2 ZPO ein und wie hoch ist die monatliche Kontogutschrift?
  5. Geht auf dem Konto regelmäßig Kindergeld für eine oder mehrere Kinder ein?
  6. Wenn ja, in welchem Jahr sind die Kinder geboren und wie hoch ist die monatliche Kontogutschrift?
  7. Gehen auf dem Konto andere Geldleistungen für Kinder ein und wie hoch ist die monatliche Kontogutschrift?
  8. Gehen auf dem Konto einmalige Sozialleistungen gemäß § 850 k Abs.2 Nr.2 ZPO ein?
  9. Wenn ja, in welchem Monat findet der Zahlungseingang statt?

Dies erfordert einen hohen organisatorischen und zeitlichen Aufwand. Entweder müssen die Betroffenen vorab präzise und verständlich darüber informiert werden, welche Unterlagen als Nachweis vorgelegt werden müssen oder Folgetermine sind unvermeidbar. Es muss intern geklärt und extern für Betroffene transparent dargestellt sein, wann die Beratungsstelle zeitnah erreichbar ist.
Zu berücksichtigen sind hier in Flächenkreisen auch die Fahrtwege der Betroffenen zur Beratungsstelle.

Aus haftungsrechtlichen Gründen müssen die Bescheinigungen und die zur Ausstellung benötigten Unterlagen archiviert werden. Ein zusätzlicher zeitlicher Aufwand entsteht dadurch, dass sich aus der Nachfrage nach einer Bescheinigung oftmals auch ein Bedarf an zusätzlicher (Schuldner-)Beratung ergibt.

In Auswertung der Rückmeldungen lässt sich nicht zweifelsfrei feststellen, wie groß die Nachfrage nach Bescheinigungen de facto war und zukünftig sein wird. Die ermittelten Zahlen lassen hier keine sicheren Rückschlüsse zu. Fest zu stellen war:

  1. Die Anzahl der Nachfrage war sehr unterschiedlich (zwischen 6 und 798 pro teilnehmender Stelle).
  2. Teilweise ist die Nachfrage im Erfassungszeitraum gestiegen, teilweise jedoch auch gesunken.

Ob und wie oft Beratungsstellen aufgesucht werden, hängt von mehreren Faktoren ab:

  1. Gibt es vor Ort eine oder mehrere anerkannte Beratungsstellen?
  2. Stellt die Beratungsstelle für alle Betroffenen oder nur für diejenigen Bescheinigungen aus, die bereits (länger) beraten werden?
  3. Stellt das örtliche Jobcenter Bescheinigungen aus (in der Praxis selten)?
  4. Wie offensiv empfehlen Kreditinstitute Ihrer Kundschaft die Umwandlung in ein P-Konto?
  5. Bestimmen das Vollstreckungsgericht bzw. die Vollstreckungsstelle des pfändenden Öffentlichen Gläubigers den erhöhten Freibetrag gem. § 850 k Abs.5 Nr.4 ZPO?
  6. Akzeptieren die Kreditinstitute die Vorlage von Sozialleistungsbescheiden?

Im Einzelnen lassen sich die folgenden Ergebnisse der Erhebung feststellen:

beteiligte Stellen insgesamt 331
Rückmeldungen für 2.Halbjahr 2010 306
Rückmeldungen für 1.Halbjahr 2011 225
Rückmeldungen für beide Zeiträume 194

Das Datenmaterial repräsentiert daher nur ca. 1/3 der deutschen Schuldnerberatungsstellen. Nicht bekannt ist, wie viele Bescheinigungen von Sozialleistungsträgern, Arbeitgebern und geeigneten Personen ausgestellt wurden.

Ein Teil der Beratungsstellen hat aufgrund der fehlenden Finanzierung dieser zusätzlichen Aufgabe nur eingeschränkt oder gar keine Bescheinigungen ausgestellt.

Bescheinigung für alle Nachfragenden 223
Bescheinigung nur für eigenes Klientel 99
Grundsätzlich keine Bescheinigungen 9

 

Nachfragen insgesamt 32.279
– davon bekannte Personen 17.429
– davon nicht bekannte Personen 13.086
P-Konto bereits vorhanden 7.024
Umwandlung in P-Konto empfohlen 13.776
ausgestellte Erst-Bescheinigungen 15.649
ausgestellte Folge-Bescheinigungen 970
zusätzliche Anträge nach § 850k (4) ZPO 594

Zugenommen hat zwangsläufig der Bedarf an Folgebescheinigungen. Einige Beratungsstellen haben nicht angegeben, ob P-Konten bereits vorhanden oder die Umwandlung empfohlen wurde.

Keine Bescheinigungen wurden ausgestellt, da

der Pfändungsschutz für Sozialleistungen ausreichte  1.802
der Sockelbetrag ausreichte 3.488
Antrag nach § 850 k Abs. 4 ZPO günstiger war 879
Unterlagen fehlen oder Angaben nicht glaubwürdig waren 633

Hierzu haben jedoch etliche Beratungsstellen keine Angaben gemacht.

Zusätzlich wurde beantragt:

Aufhebung der Pfändung nach § 833a (2) Nr. 1 ZPO 442
Anordnung befristeter Unpfändbarkeit für max. 12 Monate nach § 833a (2) Nr. 2 ZPO  329
Erneuerung des Moratoriums mit jeder neuen
Gutschrift (Die zum 16.4.2011 erfolgte überfällige Gesetzesänderung in § 835 Abs. 4 ZPO hat dazu geführt, dass Anträge auf Erneuerung des Moratoriums in aller Regel entbehrlich geworden sind.)
 653

Auffällig ist, dass Anträge nach § 833 a nur sehr selten gestellt werden, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen häufig erfüllt sein dürften.

Es ist davon auszugehen, dass der Bedarf nach Bescheinigungen steigen wird.

Betroffene, die ausschließlich von Sozialleistungen leben und deren Konto bereits – teilweise seit Jahren – gepfändet wird, heben die Zahlungseingänge innerhalb von früher sieben und jetzt vierzehn Tagen ab Gutschrift auf dem Konto ab (§ 55 SGB I). Diese einfache und effektive Möglichkeit wird bedingt durch den Wegfall dieser gesetzlichen Regelung zum 1.1.2012 entfallen, weil dann Pfändungsschutz nur noch auf einem P- Konto möglich sein wird. Die Betroffenen müssen daher ihr Konto vor dem 1.1.2012 in ein P-Konto umwandeln. Handelt es sich nicht um Einzelpersonen, werden sie eine Bescheinigung über den erhöhten Sockelbetrag benötigen, falls das Kreditinstitut die Vorlage des Sozialleistungsbescheides nicht akzeptiert (was bisher häufig der Fall ist). Gleiches gilt für Sozialleistungsempfänger, deren Konto ab 2012 erstmals gepfändet wird.

Die Bankenwirtschaft berichtet (Stand Mai 2011 ??), dass bisher erst ca. 50 % der gepfändeten Konten in P-Konten umgewandelt worden sind.

Zweifelsohne wird auch der Bedarf nach Folgebescheinigungen steigen, da Kreditinstitute Bescheinigungen regelmäßig nicht unbefristet akzeptieren.

Fazit

Die durchgeführte Erfassung kann nur einen Teil der tatsächlichen Nachfrage nach Bescheinigungen darstellen. Die erhobenen Zahlen zeigen aber deutlich die hohe und zukünftig noch zunehmende Nachfrage.

Die dem Grunde nach gelungene Novellierung des Kontopfändungsrechtes hat die Vollstreckungsgerichte wie beabsichtigt entlastet.

Die zusätzliche Aufgabe des Ausstellens von Bescheinigungen durch anerkannte Schuldnerberatungsstellen darf nicht zu Lasten der laufenden Beratungsarbeit mit dem Ziel der Schuldenregulierung gehen. Viele Schuldnerberatungsstellen führen schon jetzt lange Wartelisten, weil die begrenzten Ressourcen durch die Beratung überschuldeter Ratsuchender in existentiellen Krisen ausgeschöpft sind.

Deshalb muss die Möglichkeit einer zusätzlichen Finanzierung durch die Bundesländer geschaffen werden.

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