Positionspapier zur Finanzierung der Schuldnerberatung

Zentrale Forderungen der AG SBV zur Finanzierung im Überblick

  1. Das Angebot an Schuldnerberatung ist auszubauen!
    Das Angebot an Schuldnerberatungsstellen ist völlig unzureichend. Nur eine Minderheit der überschuldeten Haushalte (10-15%) kann derzeit in einer Beratungsstelle beraten werden.
  2. Schuldnerberatung für jeden überschuldeten Hilfesuchenden!
    Die Beratung überschuldeter Menschen ist eine notwendige und sinnvolle Hilfe. Notwendig, weil eine immer größere Zahl von Menschen überschuldet ist und diese Menschen ohne eine qualifizierte Schuldnerberatung häufig keine Chance mehr haben, ihre aus der Überschuldung resultierenden Probleme zu lösen. Sinnvoll, weil die staatlichen Mehrausgaben als Folge einer nicht bewältigten Überschuldung ungleich höher sind als die Kosten einer Beratung.
  3. Keine Trennung von Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung!
    Schuldnerberatung mit ihren verschiedenen Elementen ist eine umfassende und komplexe Tätigkeit, die aus fachlicher Sicht keine Trennung zwischen der sozialen Schuldnerberatung und der Verbraucherinsolvenzberatung zulässt. Die Finanzierung darf die verschiedenen Komponenten der Schuldnerberatung nicht trennen.
  4. Bedarfsschlüssel muss Grundlage der Finanzierung sein!
    Grundlage jeglicher Finanzierung sollte ein allgemein anerkannter Bedarfsschlüssel sein, um ein bedarfdeckendes Netz an Schuldnerberatungsstellen in Deutschland zu gewährleisten. Jede/r überschuldete Bürger/in muss die Möglichkeit haben, kurzfristig einen Beratungstermin zu bekommen. Es sollten deshalb mindestens zwei vollzeitbeschäftigte Schuldnerberatungsfachkräfte für 50.000 Einwohner zur Verfügung stehen. Auf Grundlage dieser Bedarfrechnung fehlen derzeit bundesweit nach Schätzungen der AG SBV etwa 1.600 Beratungsfachkräfte.
  5. Finanzierung von Schuldnerberatung muss gesichert sein!
    Damit die Finanzierung in allen Ländern/Kommunen von einer vergleichbaren Grundlage ausgeht, sollte eine künftige Finanzierung der Schuldnerberatungsstellen auf Grundlage eines anerkannten Bedarfsschlüssel aus einer Hand erfolgen. Die Entscheidung über die unterschiedlichen Anteile der Finanzierung kann nicht dem Verhandlungsgeschick (der Träger) bzw. der Verhandlungsbereitschaft (der unterschiedlichen Finanziers) überlassen bleiben.
  6. Schuldnerberatung als Kooperations-Partner für Job-Center!
    Für die Integration von erwerbsfähigen überschuldeten Sozialhilfeempfängern
    in den Arbeitsmarkt sind Maßnahmen der Hilfe zur Arbeit durch die Arbeits- und Sozialämter (im Sinne von ,,Job-Center“, Hartz-Bericht) geplant, deren Wirkung durch die Beteiligung von Schuldnerberatung noch verbessert werden kann.
  7. Schuldnerberatung braucht Planungssicherheit!
    Die Finanzierung der Schuldnerberatung muss eine angemessene personelle und materielle Ausstattung der Schuldnerberatungsstelle unter Berücksichtigung tariflicher Löhne, Verwaltungskosten, Fortbildung und Sachkosten umfassen. Nur dadurch können die Qualität und der Erfolg der Schuldnerberatung sichergestellt werden.

0. Ausgangssituation

Es ist unbestritten, dass die Beratung überschuldeter Menschen eine notwendige und sinnvolle Hilfe ist. Notwendig, weil eine immer größere Zahl von Menschen überschuldet ist und diese Menschen ohne eine qualifizierte Schuldnerberatung häufig keine Chance mehr haben, ihre aus der Überschuldung resultierenden Probleme zu lösen. Sinnvoll, weil die sozialen Kosten als Folge einer nicht bewältigten Überschuldung ungleich höher sind als die Kosten einer Beratung.
Zu recht weist die Bundesregierung in ihrem ersten Armuts- und Reichtumsbericht (s. Anmerkung 1) darauf hin, dass die Schuldnerberatung eine Schlüsselrolle in Entschuldungsprozessen einnimmt und sich ,,zu einem unverzichtbaren Bestandteil der sozialen Infrastruktur entwickelt“ habe. Gemessen an den komplexen Entschuldungsaufgaben und an der Zahl der überschuldeten Haushalte ist der Bedarf an Schuldnerberatungskapazitäten jedoch bei weitem nicht gedeckt.
Die derzeitige Finanzierung der Beratungsstellen ist in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich geregelt. Den größten Anteil der Kosten tragen die Bundesländer, die Kommunen und die Träger der Beratungsstellen selbst. Je nach Land und Kommune werden die Zuschüsse dabei jährlich neu fest gelegt mit der Folge, dass die Belastungen für die Träger nicht mehr planbar sind und auf Dauer nicht mehr getragen werden können. Alle bisherigen Versuche, auch die Wirtschaftsverbände an den Kosten der Schuldnerberatung zu beteiligen, haben sich, mit Ausnahme der Sparkassen in einigen Bundesländern, als unrealistisch erwiesen. Schuldner sind nicht in der Lage, die Kosten zu tragen.
Die bestehenden rechtlichen Finanzierungsgrundlagen (InsO und BSHG) reichen wegen der unterschiedlichen Länderbestimmungen (InsO) und der unpräzisen Gesetzesformulierung (BSHG), die nicht akzeptable Auslegungsspielräume für die öffentlichen Kostenträger zulässt, nicht aus. Sie bedürfen einer besseren und vor allem eindeutigeren gesetzlichen Klarstellung und Regelung.
Vor dem Hintergrund aktueller Reformdiskussionen zur Novellierung der Sozialhilfe und grundlegender Änderungen der Arbeitsmarktpolitik (Hartz-Kommission, Sozialagenturen in NRW, Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe) möchte die AG SBV mit diesem Positionspapier die Bedeutung der Schuldnerberatung aufzeigen und auf die zum Teil völlig unzureichende Finanzierung der Schuldnerberatung in Deutschland aufmerksam machen. Es werden dabei die unterschiedlichen Aspekte aufgezeigt, die sowohl das Leistungsangebot der Schuldnerberatung wie auch deren Wirksamkeit und Einsparungspotentiale beschreiben. Für die aktuellen Novellierungsabsichten des BSHG werden konkrete Vorschläge gemacht, wie die Finanzierung dort sichergestellt werden kann.
Ein Kernstück der angestrebten sozialpolitischen Veränderungen zielt auf eine Optimierung der Integration arbeitsfähiger Sozialhilfeempfänger und Arbeitslosenunterstützung beziehender Menschen in den Arbeitsmarkt. Durch personenbezogene Dienstleistungen sollen Vermittlungshemmnisse abgebaut werden, die einer Arbeitsaufnahme entgegen stehen. Frühzeitig einsetzende Hilfen für Menschen, die noch eine Arbeit haben, sollen außerdem dazu beitragen, dass diese erst gar nicht arbeitslos werden. In diesem Spektrum der Vermeidung und Überwindung von Arbeitslosigkeit und Sozialhilfebedürftigkeit kann Schuldnerberatung als eine Form der personenbezogenen Dienstleistung einen erheblichen Beitrag zur sozialen und beruflichen Integration leisten. Voraussetzung dafür ist jedoch eine ausreichende und am Bedarf orientierte Finanzierung.

1. Das Angebot an Schuldnerberatung ist auszubauen!

Dimension der Überschuldung in Deutschland

Das im Auftrag des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erstellte Gutachten „Überschuldung in Deutschland zwischen 1988 und 1999“ der GP Forschungsgruppe stellt fest, dass im Jahr 1999 im Bundesgebiet von rd. 2,77 Mio. überschuldeten Haushalten auszugehen ist.

Zwischen 1994 und 1999 ist die Zahl der überschuldeten Haushalte in Deutschland um 40,5 Prozent gestiegen. Nachfolgend ist die Entwicklung zwischen 1987 und 1999 dargestellt:

Überschuldete Haushalte in Deutschland 1987, 1994 und 1999 (s. Anmerkung 2)

Zahl der überschuldeten Haushalte 1987 – 1999
1987 1994 1999
Deutschland 2.000.000 2.810.000
Westdeutschland 1.200.000 1.525.000 1.940.000
Ostdeutschland 475.000 870.000

Insgesamt geht die GP Forschungsgruppe in ihrem Gutachten von mindestens 300.000 überschuldeten Arbeitslosen aus. Von den in der Schuldnerberatung befindlichen Klienten beziehen 17 % Sozialhilfe (SH), 15 % Arbeitslosengeld (ALG) und 15 % Arbeitslosenhilfe (ALH). In Folge zum Teil ergänzender Hilfegewährung (z.B. ALH/SH) liegen in einem bestimmten Umfang Mehrfachnennungen vor. Arbeitslosigkeit ist mit 38 % häufigste Überschuldungsursache.
Hilfen erhalten Überschuldete primär durch die Schuldnerberatungsstellen. Zu recht weist deshalb die Bundesregierung in ihrem ersten Armuts- und Reichtumsbericht (s. Anmerkung 3) darauf hin, dass die Schuldnerberatung eine Schlüsselrolle in Entschuldungsprozessen einnimmt und sich ,,zu einem unverzichtbaren Bestandteil der sozialen Infrastruktur entwickelt“ habe.
Gemessen an den komplexen Entschuldungsaufgaben und an der Zahl der überschuldeten Haushalte ist der Bedarf an Schuldnerberatungskapazitäten jedoch bei weitem nicht gedeckt. Das zeigt sich unter anderem auch an den langen Wartezeiten bis zu einem ersten Gesprächstermin. Vielfach können Beratungsstellen nur eine Kurzberatung durchführen, um eine erste – oftmals existenzielle Hilfestellung – anzubieten. Etwa die Hälfte der Beratungsstellen verfügt nur über eine Beratungskraft und weitere 10 % sind lediglich mit einer Teilzeitkraft besetzt.
Wegen den nicht in ausreichendem Maße vorhandenen Beratungskapazitäten ist es nur für eine Minderheit von 10 bis 15 Prozent der überschuldeten Haushalte möglich, in Schuldnerberatungsstellen Hilfen zu erhalten.

2. Schuldnerberatung für jeden überschuldeten Hilfesuchenden!

Wirkungen der Schuldnerberatung

Nicht nur für den betroffenen Schuldner und seine Familie hat die Überschuldung weitreichende finanzielle und soziale Probleme zur Folge. Bei einer Zahl von fast 2,8 Millionen Haushalten (das entspricht ca. 7% aller Haushalte der Bundesrepublik) im Jahr 1999 müssen auch die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen mit in den Blick genommen werden. Finanzielle Ausfälle und gleichzeitige Mehrausgaben bei den sozialen Sicherungssystemen sind ebenso zu berücksichtigen wie die Auswirkungen verminderter Kaufkraft auf Konjunkturlage und Steueraufkommen. Vor diesem Hintergrund sind die Effekte von Schuldnerberatung, auch wenn hier in der Regel Einzelberatung geleistet wird, ebenso in einem komplexen und globalen Zusammenhang zu betrachten. Durch Schuldnerberatung ergeben sich insbesondere folgende positive Wirkungen:

für den Überschuldeten

  • Existenzsicherung
  • verbesserte Fähigkeit, Konsumausgaben am verfügbaren Einkommen zu orientieren
  • geringere Gefährdung, sich erneut zu überschulden
  • Stärkung des Leistungswillens und des Selbsthilfepotentials
  • Gewinnung einer Lebensperspektive
  • bessere Chancen auf berufliche und soziale Integration
  • Wiederherstellung wirtschaftlicher und persönlicher Handlungskompetenz sowie Zahlungsfähigkeit und Kaufkraft
  • Schuldenabbau
  • Stabilisierung der familiären Situation

für die Gläubiger

  • Vermittlung zwischen Gläubiger- und Schuldnrinteressen
  • Realisierung schwer einbringlicher Forderungen
  • bessere Beurteilung der Erfolgsaussicht von kostenintensiven Beitreibungsmaßnahmen
  • Informationen zur finanziellen, beruflichen, sozialen und familiären Situation
  • Vermeidung von zusätzlichem Aufwand
  • Vorlage eines realistischen Entschuldungskonzeptes

für die Gesellschaft und öffentlichen Haushalte

  • Erhalt des Arbeitsplatzes bzw. Verbesserung der Vermittlungschancen
  • Beiträge statt Ausgaben für das System der sozialen Sicherung
  • höhere Steuereinnahmen durch mehr Kaufkraft
  • weniger soziale Folgewirkungen und Folgekosten
  • Entlastung der Justiz durch weniger Zwangsvollstreckungsmaßnahmen
  • Entlastung der Arbeitgeber durch weniger Pfändungen / Abtretungen
  • Reduzierung von ,,Schwarzarbeit“

Schuldnerberatung kann in erheblichem Umfang soziale Leistungen (wie Sozialhilfe, Arbeitslosengeld, Krankengeld) einsparen. Sie trägt mit dazu bei, Arbeitsplätze trotz Überschuldung zu erhalten oder bei Arbeitslosigkeit dieses Vermittlungshemmnis zu reduzieren. Sie unterstützt bei der Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt. Sie reduziert die Krankheitsanfälligkeit und vermeidet Krankenkosten. Durch den Aufbau von Perspektiven fördert sie Eigeninitiative und die Motivation zur Reduzierung von Sozialhilfeabhängigkeit.

3. Keine Trennung von Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung!

3.1 Inhalte und Lösungsansätze der Schuldnerberatung

Die Menschen, die eine Schuldnerberatungsstelle aufsuchen, lassen sich in einer vereinfachten Darstellung in folgende Gruppen aufteilen:

  1. Der Ratsuchende benötigt fachliche und/oder sachliche Informationen und kann, nachdem er diese erhalten hat, seine Angelegenheiten selbständig regeln. Die Beratungsdauer ist in der Regel eher kurz.
  2. Der Ratsuchende benötigt fachliche und/oder sachliche Informationen und punktuell von der Beratungsfachkraft konkrete Unterstützung bei der Formulierung von Schreiben an Gläubiger bzw. in den Verhandlungen mit einzelnen Gläubigern, verfügt aber ansonsten über hinreichende Handlungskompetenz, um zu einer angemessenen Problemlösung zu gelangen. Die Beratungsdauer umfasst in der Regel wenige Termine.
  3. Der Ratsuchende befindet sich in einer finanziellen/wirtschaftlichen und in einer psychosozialen Krise. Auslöser der Krise können dabei sowohl materielle als auch psychosoziale Probleme sein. Die Bereitstellung von Expertenwissen reicht alleine zur konstruktiven Lösung der Probleme nicht aus. Die Beratung ist langfristig angelegt.

Nach den verschiedenen Konzeptionen zur Schuldnerberatung richtet sich das Beratungsangebot insbesondere an die unter Nr. 3 beschriebene Gruppe. Im Unterschied zur Gruppe 1 und 2 gilt es hier auch die soziale und wirtschaftliche Handlungskompetenz wiederherzustellen und zu fördern. Die Schuldnerberatung beschränkt sich bei dem Personenkreis der Gruppe 3 nicht auf eine reine Wissensvermittlung oder primär finanziell-rechtliche Beratung, sondern bietet zudem aus einer ganzheitlichen, umfassenden Sichtweise heraus eine sozialpädagogisch orientierte fallbezogene Hilfe an. Es ergeben sich insbesondere folgende Ziele und Aufgaben:

  • Existenzsicherung
  • Schuldenregulierung
  • Budgetberatung
  • Schuldnerschutz
  • psycho-soziale Hilfen
  • Hilfen zur Überwindung der materiellen Notlage

Zum Selbstverständnis der Schuldnerberatung gehört es, Konzepte zu entwickeln, die geeignet sind, die individuellen Notlagen zu beseitigen, indem die Handlungskompetenz wiederhergestellt und eine Stabilisierung der wirtschaftlichen und sozialen Situation erreicht wird. Die Schuldnerberatung beschränkt sich nicht nur auf eine Klärung strittiger rechtlicher Fragen, sondern sucht gemeinsam mit den Betroffenen nach Lösungen für die individuellen Ursachen und Wirkungen der Überschuldung. Zur wirtschaftlichen Stabilisierung trägt die Schuldnerberatung bei, indem sie einerseits die kritische Auseinandersetzung des Ratsuchenden mit seinem eigenen Konsum- und Ausgabenverhalten initiiert und fördert, sowie andererseits eine möglichst alle Gläubiger einbeziehende Schuldenregulierung durchführt.

Schuldnerberatung orientiert sich an der Problemlage des Einzelfalls. Sie muss in der Lage sein, die Sorgen und Schwierigkeiten der Ratsuchenden zu erkennen und deren Selbsthilfemöglichkeiten zu aktivieren. Sie benötigt Kenntnisse über die Lebenssituation spezieller Klientengruppen. Die Schuldnerberatung muss bei Gläubigern und Behörden mit deren institutionellen Gegebenheiten und Abläufen vertraut sein. Der Beratungsfachkraft benötigt umfangreiche und mitunter sehr weit ins Detail gehende Kenntnisse aus unterschiedlichen Fachgebieten. Ein effektives und sachgemäßes Wirken erfordert darüber hinaus die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen, Personen und Gremien.

Die fallbezogene Hilfe wird im weiteren ergänzt durch strukturbezogene Dienstleistungen wie Öffentlichkeitsarbeit und Prävention sowie Intervention auf das politische Handeln.
Überschuldung darf nicht primär als individuelle Schwäche verstanden werden, sondern vielmehr als spezifischer Ausdruck wirtschaftlicher Armut und psychosozialer Notlagen, der im Kontext der Entwicklung einer modernen Wirtschaftsgesellschaft zu sehen ist.

3.2 Insolvenzberatung als ein Bestandteil der Schuldnerberatung

Die Schuldnerberatung hat mit Einführung des Verbraucherinsolvenzverfahrens an Komplexität und fachlichen Anforderungen zugenommen. Schuldnerberatungsfachkräfte bedürfen in anerkannten Insolvenzberatungsstellen über ihre Kenntnisse der originären Arbeit der Schuldnerberatung hinausgehende umfassende Kenntnisse der Insolvenzordnung und der aktuellen Rechtsprechung.

Für eine Splittung in traditionelle Schuldnerberatung einerseits und Verbraucherinsolvenzberatung andererseits gibt es keinen fachlichen Grund. Um den jeweiligen Finanzierungsmodalitäten zu entsprechen, wird jedoch oft künstlich etwas voneinander getrennt, was gar nicht trennbar ist. Diese Trennung basiert zum Teil auf der gegebenen Mischfinanzierungsstruktur der Schuldnerberatung. Die Kommunen sehen sich, wenn überhaupt, nur zuständig für die Beratung nach § 17 BSHG. Einige Länder bezuschussen nur die Tätigkeiten, die auf der Basis der Insolvenzordnung erbracht werden. Da kein Kostenträger Teile der Schuldnerberatung, für die der vermeintlich andere Kostenträger zuständig sein soll, finanzieren will, kommt es in der Praxis zu absurden Abgrenzungsbemühungen, um nicht zu riskieren, Fördermittel zu verlieren und dadurch den Eigenanteil der Träger noch weiter zu erhöhen.

4. Bedarfsschlüssel muss Grundlage der Finanzierung sein!

Beratungs- und Finanzierungsbedarf

Im Abschnitt 1 wurde erläutert, wie sich die derzeitige Überschuldungssituation in Deutschland darstellt. Diese Zahlen machen deutlich, dass akuter Handlungsbedarf für Politik und Verwaltung besteht. Deshalb soll im folgenden dargestellt werden, wie hoch der derzeitige Bedarf an Schuldnerberatungsfachkräften in den einzelnen Bundesländern ist und was Schuldnerberatung kostet, um hier für Politik und Verwaltung eine Entscheidungsgrundlage zu liefern.

Bedarfsschlüssel für beratende Berufe im sozialen Bereich gibt es in vielen anderen Bereichen. So hält die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. in ihrem ,,Rahmenplan für ambulante Beratungs- und Behandlungsstellen für Suchtkranke und ihre Angehörige“ mindestens eine Fachkraft für 10.000 Einwohner für erforderlich (s. Anmerkung 4). Die Richtlinien Sozialpsychiatrischer Dienste sehen für Baden-Württemberg das Verhältnis von einer Fachkraft auf 50.000 Einwohner vor und für die Stadt Stuttgart von einer Fachkraft auf 20.000 Einwohner (s. Anmerkung 5). Im Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten werden die Länder verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass mindestens ein vollzeitbeschäftigter Beratungsfachkraft je 40.000 Einwohnern zur Verfügung gestellt wird (s. Anmerkung 6).

Die Anzahl der notwendigen Schuldnerberatungsfachkräfte ergibt sich aus dem Bedarf für die Schuldnerberatung einschließlich der Verbraucherinsolvenzberatung. Für beide Bereiche existieren bereits Schätzungen. So ermittelt die GP-Studie Ost (s. Anmerkung 7), dass für eine flächendeckende Versorgung mit Schuldnerberatung zwei Beratungsfachkräfte je 40.000 Einwohnern notwendig sind. Für die Verbraucherinsolvenzberatung ermittelt ein Gutachten, das im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NordrheinWestfalen erstellt wurde, einen Bedarf von einem Beratungsfachkräfte je 65.000 Einwohner (s. Anmerkung 8).

Unter Berücksichtigung der vorliegenden Schätzungen und der Erfahrungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung, der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege und der Verbraucherzentrale Bundesverband lässt sich folgender Bedarfsschlüssel ermitteln:

2 Beratungsfachkräfte je 50.000 Einwohner

Aus Sicht der AG SBV sollten deshalb mindestens zwei vollzeitbeschäftigte SchuldnerBeratungsfachkräfte für 50.000 Einwohner zur Verfügung stehen. Zur Sicherung dieses Mindestangebotes an Beratungsfachkräften sollte eine gesetzliche Grundlage (wie z.B. im Bereich der Schwangerschaftskonfliktberatung) geschaffen werden. Dieser Bedarfsermittlung liegt die Berechnungsgröße ,,Einwohner“ zu Grunde, da Einwohnerzahlen bei allen Kommunen verfügbar sind. Manchmal werden in diesem Zusammenhang die ,,Haushalte“ als Bezugsgröße gewählt. Nach den Angaben des Mikrozensus lebten 2001 in Deutschland im Durchschnitt 2,15 Personen in einem Haushalt (Stand: 31. Dezember 2001). Die erforderliche Anzahl der Schuldnerberatungsfachkräfte lässt sich auf Basis der Haushaltsund Bevölkerungszahlen für das Jahr 2001, Berechnungsschlüssel 2 Beratungsfachkräfte je 50.000 Einwohner, für Gesamtdeutschland berechnen.

Für Deutschland resultiert daraus ein Bedarf von 3.300 Beratungsfachkräften

Diese Bedarfszahl ist abhängig von den Sozialdaten und von regionalen Besonderheiten. Sie entspricht dem Minimum dessen, was an Beratungsfachkräften erforderlich ist

5. Die Finanzierung von Schuldnerberatung muss gesichert sein!

Die AG SBV fordert, dass jede/r Überschuldete einen Rechtsanspruch auf Schuldner- und Insolvenzberatung haben muss. Dieser Rechtsanspruch kann aber nur dann verwirklicht werden, wenn in der Bundesrepublik Deutschland eine bedarfsgerechte Zahl von Schuldnerberatungsstellen vorhanden ist. Dies setzt wiederum voraus, dass die Finanzierung dieser Stellen gesichert sein muss, was gegenwärtig jedoch nicht gewährleistet ist. Die Finanzierung der Schuldnerberatung ist in den einzelnen Bundesländern auf Grund unterschiedlicher Finanzierungsgegebenheiten und unterschiedlicher Auslegungen gesetzlicher Grundlagen weder einheitlich noch planbar. Aus dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes lässt sich ableiten, dass die Bereitstellung von Hilfen für Ratsuchende in existenziellen und persönlichen Notlagen eine Aufgabe ist, deren Wahrnehmung durch den Staat gewährleistet sein muss. Dies schließt nicht aus, dass auch andere Institutionen Beiträge zur Finanzierung der Schuldnerberatung leisten. Die derzeitige Förderstruktur ist dadurch gekennzeichnet, dass entweder die Beratungsstellen institutionelle Zuschüsse (Pauschalfinanzierung) erhalten oder die Beratung im Einzelfall nach Leistungsumfang finanziert wird. Im Folgenden werden die verschiedenen Finanzierungsmodalitäten und Zuständigkeiten aufgeführt und ihre Problematik verdeutlicht.

5.1 Kommunale Finanzierung

Rechtsgrundlage einer kommunalen Finanzierung sind die Regelungen der Paragrafen 6, 8, 10 und 17 BSHG.

5.1.1 Finanzierung nach § 17 BSHG

Die stärker in das öffentliche und politische Bewusstsein gerückte Schuldnerberatung veranlasste den Gesetzgeber, mit § 17 BSHG eine besondere Beratungs- und Unterstützungsform im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt als eigenständige Hilfeart zu schaffen. Nach § 17 BSHG sind die angemessenen Kosten einer weiterführenden Beratung ­ wie der Schuldnerberatung – dann vom Sozialhilfeträger zu übernehmen, wenn eine Lebenslage, in denen Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt erforderlich sind, sonst nicht überwunden werden kann. In Fällen, in denen der Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt vermieden werden kann, können die Kosten übernommen werden. § 17 BSHG begründet keinen individuellen Rechtsanspruch auf die Leistung. Außerdem ist durch die derzeitige Formulierung keine gleichwertige Anspruchsvoraussetzung für die Vermeidung bzw. Überwindung von Sozialhilfebedürftigkeit gegeben.
Die offene und weit gefasste Formulierung als Sollvorschrift führt bei den Sozialhilfeträgern zu sehr unterschiedlichen Auslegungen und Interpretationen und zum Teil auch zu Unsicherheiten, wie die gesetzliche Vorschrift umzusetzen ist.
Beispiele der derzeitigen Handhabung:

  • Einige Kommunen tragen unter Berücksichtigung der Leistungen durch Dritte, wie Land oder Sparkassen, die gesamten Kosten der Beratungsstelle auf pauschaler Basis.
  • Andere Kommunen tragen die Kosten der Schuldnerberatung nach § 17 BSHG nur nach Prüfung des Einzelfalls. Hier ist für jeden einzelnen Fall ein Kostenübernahmeantrag zu stellen. Dies hat zur Folge, dass diese Kommunen eine Vielzahl von Nachweisen/Belegen fordern, deren Beschaffung aufwändig und teilweise mit Kosten verbunden sein kann (Kontoauszüge der letzten drei Monate), ohne dass ein positiver Bewilligungsbescheid sicher ist. Diese Regelung verursacht sowohl bei den Behörden als auch bei den Beratungsstellen einen sehr hohen Verwaltungsaufwand.
  • Bei zu enger Auslegung von § 17 und § 76 BSHG wird Hilfesuchenden auch mit geringen Einkünften keine Leistung durch den Träger der Sozialhilfe gewährt.
  • Andere Kommunen stellen in § 17 BSHG den Aspekt der Vermeidung richtigerweise mehr in den Vordergrund, so dass bei ihnen Hilfesuchende trotz eigener Einkünfte die Kosten der Schuldnerberatung erstattet bekommen, wenn sie durch Pfändungen und Tilgungen tatsächlich nur das Existenzminimum zur Verfügung haben.
  • Manche Kommunen verneinen den Bedarf nach § 17 BSHG für bestimmte Gruppen wie Alleinerziehende. Ihnen wird die Kostenbewilligung verwehrt mit dem Argument, sie blieben trotz Schuldnerberatung in der Sozialhilfe.
  • Die Bearbeitungsdauer der Anträge auf Kostenübernahme umfasst in einzelnen Kommunen bis zu mehreren Monaten, unabhängig von einer akuten Krise wie Kontenpfändung.
  • Für die Träger von Schuldnerberatungsstellen besteht keine Planungssicherheit. Die nach § 17 Abs. 1, Satz 3 BSHG vorgesehenen angemessenen Kosten werden häufig nicht getragen. In der Praxis vieler Kommunen wechseln laufend die Sachbearbeiter für den Bereich der Hilfe zum Lebensunterhalt. Die neuen Sachbearbeiter fühlen sich mit der zusätzlichen Bearbeitung von Anträgen nach § 17 BSHG oft überfordert und bewilligen, nach längerer Bearbeitungszeit, wenn überhaupt, nur wenige Beratungsstunden.

Einige der zu engen Auslegungen beweisen, dass der Zweck des § 17 BSHG nicht erfüllt wird (siehe 5.4). Im Ergebnis ist die bundesweit äußerst unterschiedliche Handhabung des § 17 BSHG für die Ratsuchenden, für die Träger von Schuldnerberatungsstellen und für die Träger der Sozialhilfe äußerst unbefriedigend.

5.1.2 Zur Finanzierung nach den §§ 6 und 8 BSHG

Seit der Einführung des § 17 in das BSHG ist die Finanzierung der Schuldnerberatung über die §§ 6 und 8 BSHG in den Hintergrund getreten. Da dennoch einige Kommunen statt über § 17 Schuldnerberatung über die §§ 6 und 8 BSHG fördern, sollen hierzu einige Anmerkungen gemacht werden.

Nach § 6 BSHG soll Sozialhilfe vorbeugend gewährt werden, wenn dadurch eine im Einzelnen drohende Notlage ganz oder teilweise abgewendet werden kann. Nach § 8 BSHG gehört zur persönlichen Hilfe außer der Beratung in Fragen der Sozialhilfe auch die Beratung in sonstigen sozialen Angelegenheiten. Als eine Form der allgemeinen Lebensberatung ist die Schuldnerberatung als Beratung in sonstigen Sozialen Angelegenheiten anzusehen.

Die §§ 6 und 8 BSHG sind als Rechtsgrundlagen zur Finanzierung der Schuldnerberatung in noch wesentlich stärkerem Maße vom Wohlwollen des Sozialhilfeträgers abhängig als der Paragraf 17 BSHG und damit nicht geeignet, um einen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung zu begründen.

5.2 Finanzierung durch die Bundesländer

Die Finanzierungsart der Bundesländer ist abhängig von dem Verständnis darüber, ob die soziale Schuldnerberatung nach BSHG und die Verbraucherinsolvenzberatung nach der Insolvenzordnung als Beratungseinheit oder als getrennte Beratungsfelder gesehen werden. Eine weitere Rolle spielt die Frage, ob in der Zeit vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung 1999 die Bundesländer die soziale Schuldnerberatung mitfinanziert haben.

Vor diesem Hintergrund beteiligen sich aktuell die Länder entweder in Form von Einzelfallpauschalen oder Festbetragszuwendungen zu den Personalkosten. Die Fallpauschalen in den Ländern unterscheiden sich nach der Höhe, teilweise sind sie abhängig von der Zahl der Gläubiger oder vom Ergebnis des außergerichtlichen Einigungsversuchs und ändern sich laufend. Die Zuwendungen umfassen eine Anteilfinanzierung der Personal- und Sachkosten und schwanken zwischen ca. 33% und 100%.

Bemerkenswert für Berlin ist, dass hier richtigerweise keine Trennung bei der Finanzierung zwischen Schuldner- und Insolvenzberatung vorgenommen wird.

In Nordrhein-Westfalen beteiligt sich das Land mit einem Festbetrag an den Personalkosten der Insolvenzberatungen bei den gemäß § 305 InsO anerkannten Stellen.

Ein Sonderfall stellt Bremen dar. Dort zahlt das Land eine Fallpauschale nach § 17 BSHG für die soziale Schuldnerberatung und gewährt für den zusätzlichen Aufwand der Insolvenzberatung eine weitere Fallpauschale. Dies jedoch nur dann, wenn der Schuldner Anspruch auf Leistungen nach dem BSHG hat. Alle anderen Fälle sind auf Anwälte oder die öffentliche Rechtsberatung angewiesen.

In Hessen stellt das Land den Stadt- und Landkreisen Mittel für die nach § 305 InsO zugelassenen Beratungsstellen zur Verfügung, die der Höhe nach von der Einwohnerzahl abhängen.

Hamburg hat keine gesetzliche Landesförderung.

Diese Beispiele aus den Bundesländern belegen die Unterschiedlichkeit der Finanzierungsmodalitäten. In ihrer Verschiedenartigkeit sowie durch häufige Änderungen sind sie kaum miteinander vergleichbar. An diesen Beispielen wird deutlich, dass keine einheitliche befriedigende Finanzierung besteht. Die jetzige Finanzierung aus vielen Töpfen gibt den Trägern keine Planungssicherheit und erhöht den Verwaltungsaufwand. Die Zugänge über die kommunale Finanzierung sind uneinheitlich und schließen viele Hilfesuchende aus. Vielerorts gibt es wegen der Finanzierung eine Trennung zwischen sozialer Schuldnerberatung und Insolvenzberatung. Zur Bemessung des Bedarfs an Beratungsfachkräften liegt kein einheitlicher Personalschlüssel entsprechend einer Einwohnerzahl zugrunde.

5.3 Andere Finanziers

5.3.1 Gläubiger-Finanzierung

In vier Bundesländern sind die Sparkassen- und Giroverbände an der Finanzierung der Schuldnerberatung beteiligt. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein handelt es sich um ein freiwilliges Engagement, in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz um eine im jeweiligen Sparkassengesetz vorgeschriebene Verpflichtung. Darüber hinaus gibt es vereinzelte finanzielle Unterstützung auf regionaler Ebene im Sinne von Sponsoring bestimmter Aktivitäten der Schuldnerberatung.

Die seit 1998 geführten Gespräche zwischen der Schuldnerberatung (AG SBV) und Vertretern der Finanz-, Kredit- und Wohnungswirtschaft und des Handels, die u.a. das Ziel einer freiwilligen Beteiligung dieser Wirtschaftverbände an der Finanzierung der Schuldnerberatung verfolgten, sind bisher noch ohne erkennbares Ergebnis verlaufen.

5.3.2 Finanzierung durch das Arbeitsamt

Die bisherige finanzielle Unterstützung der Arbeitsämter durch ,,indirekte Finanzierung“ im Rahmen der sozialpädagogischen Betreuung durch Beratung von Teilnehmer/innen in Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekten sowie die ,,Freie Förderung“ zur Finanzierung von Schuldnerberatung nach § 10 Sozialgesetzbuch Drittes Buch wird derzeit immer mehr eingestellt.

5.3.3 Sonstige Finanzierungsmöglichkeiten

In einigen Bereichen gibt es Dienstleistungen für Betriebe, Gewerkschaften etc. als ,,Betriebssozialarbeit“. Schuldnerberatung wird hier als Beratungsangebot für die Mitarbeiter/innen vertraglich ,,eingekauft“.

5.4 Forderung der AG SBV – Schuldnerberatung als Hilfe in besonderen Lebenslagen

Die Minimalforderung aus Sicht der AG SBV ist die Neuformulierung des § 17 BSHG. Hier fordert die AG SBV den Gesetzgeber auf, zukünftig hervorzuheben, dass es sich bei der Schuldnerberatung um eine Pflichtleistung des Sozialhilfeträgers handelt, auf die der Ratsuchende in einer schuldenbedingten Notlage einen individuellen Rechtsanspruch hat. Die Überwindung von Sozialhilfebedürftigkeit und die Vermeidung von Sozialhilfebedürftigkeit sieht die AG SBV als gleichwertige Anspruchsvoraussetzungen an. Es wird empfohlen, dass Sozialhilfe- und Schuldnerberatungsträger gemäß § 93 BSHG Vereinbarungen über Umfang und Qualität der Leistung sowie über das Entgelt schließen. Aus Sicht der AG SBV sollte auf eine Reparatur des § 17 BSHG verzichtet und statt dessen zur Sicherung des Anspruchs als Hilfeart in § 27 Abs. 1 Nr. 2 aufgenommen werden. Bereits Anfang der 90-er Jahre hat die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege vorgeschlagen, Hilfe bei Überschuldung als Hilfeart in § 27 Abs. 1 Nr. 2 BSHG aufzunehmen, weil es sich um Hilfe in besonderen Lebenslagen handelt. Im Mittelpunkt des Sozialhilferechts steht der Bereich ,,Hilfe in besonderen Lebenslagen“. Während im Bereich ,,Hilfe zum Lebensunterhalt“ der Schwerpunkt auf der Gewährung von laufender Unterstützung zur Sicherung des Lebensunterhaltes liegt und auf Basis einer sehr engen Bedürftigkeitsberechnung denjenigen das Existenzminimum gesichert wird, deren eigenes Einkommen und Vermögen dazu nicht ausreicht, erfasst die Hilfe in besonderen Lebenslagen die qualifizierte Bedarfssituation. Diese Hilfe soll auch Personen zugute kommen, die zwar für ihren normalen Lebensunterhalt selbst sorgen können, aber infolge besonderer Verhältnisse trotzdem der Hilfe durch die Allgemeinheit bedürfen, wobei hier auch die besonderen Einkommensgrenzen zu berücksichtigen sind (s. Anmerkung 9).
Die ,,Hilfen in besonderen Lebenslagen“ gewähren Personen über das Existenzminimum hinaus Hilfen, die geeignet sind, dafür zu sorgen, den Betroffenen ein menschenwürdiges Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Im Gegensatz zur ,,Hilfe zum Lebensunterhalt“ bezieht sich die ,,Hilfe in besonderen Lebenslagen“ auf die Situation von Teilen der Gesellschaft, die besonderen Belastungen und Armutsrisiken ausgesetzt sind.

Die Situation Überschuldeter oder von Überschuldung Bedrohter lässt sich vergleichen mit den bisher im Gesetz benannten Notlagen. So umfasst § 27 Abs. 1 Nr. 1 die ,,Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage“ und Nr. 11 ,,Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten“. Die besondere Bedeutung der ,,Hilfen in besonderen Lebenslagen“ für die Bewältigung sozialer Probleme gebietet die Anwendung des § 27 BSHG zu Gunsten von Personen, bei denen soziale oder familiäre Probleme zu einer Überschuldung geführt haben oder deren soziale oder familiäre Probleme durch die Überschuldung verursacht sind. Überschuldung bedeutet für einen großen Teil der Bevölkerung eine soziale und wirtschaftliche Notsituation, die sich nicht mehr mit den Hilfen im Rahmen des Abschnitts 2 (Hilfe zum Lebensunterhalt) im Einzelfall sachgerecht bewältigen lässt. Im Weiteren wird ausgeführt, dass das Ziel der Hilfe sein sollte, die Beeinträchtigung der Lebensverhältnisse abzustellen und für die Betroffenen wieder eine Lebensperspektive zu entwickeln. Nur so könne die Sozialhilfe ihre Aufgabe erfüllen, die Voraussetzungen für eine menschenwürdige Existenz sicher zu stellen und zwar dadurch, dass Menschen, die mit den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht zurecht kommen und durch Überschuldung in eine oft ausweglose Situation wirtschaftlicher, sozialer oder seelischer Art geraten sind, die Möglichkeit einer selbständigen Existenzsicherung und Lebensführung durch eine gezielte Hilfestellung bei Überschuldung erhalten.

Die Aufnahme als Hilfeart in § 27 BSHG hat den Vorteil, dass diese Hilfe auch Personen gewährt wird, die zwar ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können, aber infolge besonderer Verhältnisse trotzdem der Hilfe des Staates bedürfen. Der anspruchsberechtigte Personenkreis ist demzufolge nicht so weit eingegrenzt, wie bei der Hilfe zum Lebensunterhalt. Spielräumen für Auslegungsinterpretationen durch die Sozialhilfeträger sind dementsprechend ebenfalls enge Grenzen gesetzt. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen die Einkommensgrenzen nach den §§ 70 ff. BSHG anzuwenden sind. Diese sind deutlich höher angesetzt als bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und schließen nicht automatisch z.B. berufstätige Hilfesuchende aus.

Diesen Ausführungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege e.V. schließt sich die AG SBV uneingeschränkt an und empfiehlt, den § 17 BSHG in der bisherigen Form zu streichen und die ,,Hilfen bei Überschuldung“ als Hilfeart in § 27 BSHG aufzunehmen. (siehe im Anhang Entwurfsvorschlag zu §§ 27 / 31 BSHG)

6. Schuldnerberatung als Kooperations-Partner für Job-Center

Die AG SBV sieht die Notwendigkeit, die Finanzierung der Schuldnerberatung gesetzlich neu zu bestimmen. Eine gute Gelegenheit hierzu bieten zur Zeit die Novellierungsabsichten des BSHG und SGB III. Job-Center werden zukünftig das lokale Zentrum für alle Dienstleistungen am Arbeitsmarkt sein. Jenseits der bisherigen Zuständigkeitsorganisationen entsteht für den Vermittlungsprozess ein ganzheitlicher Service. Das Job-Center ist für alle Erwerbsfähigen zuständig, einschließlich der erwerbsfähigen Sozialhilfebezieher. Damit soll die reine Verwaltung der Arbeitslosen durch aktivierende und fördernde Maßnahmen ersetzt werden. Hilfeplanung und Fallmanagement werden als Instrumente genannt, um Betroffene dauerhaft vom Leistungsbezug unabhängig zu machen.

Dem liegt die zutreffende Erkenntnis zugrunde, dass Leistungsbezieher oft eine Vielzahl von Problemen ­ wie zum Beispiel Überschuldung ­ haben und diese bearbeitet werden müssen, um den Integrationserfolg in den ersten Arbeitsmarkt zu sichern. Den ,,Fallmanagern“ kommt die Aufgabe zu, Vermittlungshemmnisse zu erkennen und die erforderlichen Hilfen sicherzustellen. In diesem Kontext wird der Schuldnerberatung eine herausragende Bedeutung zukommen, weil sie fachkompetent zur Lösung wirtschaftlicher und sozialer Probleme beitragen kann (siehe hierzu Kapitel 2). Schuldnerberatung als flankierendes Dienstleistungsangebot für Job-Center muss in ausreichender Menge zur Verfügung stehen.

Da die Schuldnerberatung so rechtzeitig wie möglich ansetzen muss, darf es keine Beschränkung der Beratungsleistung auf bestimmte Gruppen geben. Jeder Überschuldete, der nicht über anderweitige Hilfen wie Steuerberater/Wirtschaftsprüfer verfügen kann, muss einen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung haben. Auch dieses Angebot kann nur bei ausreichender Finanzierung zur Verfügung stehen.

7. Schuldnerberatung braucht Planungssicherheit!

7.1 Kosten der Schuldnerberatung (Stand: September 2002)

Zu berücksichtigen sind alle Kosten, die einer Schuldnerberatungsstelle für ihre Hilfeleistungentstehen. Das sind:

  • 7.1.1 Personalkosten
  • 7.1.2 Sachkosten
  • 7.1.3 Verwaltungs(Gemein-)kosten

Die Kostenberechnung eines Arbeitsplatzes kann sich an den regelmäßig erscheinenden Berichten der Kommunalen Gemeinschaftsstelle in Köln (KGSt) orientieren (s. Anmerkung 10).

7.1.1 Personalkosten entstehen für:
  • Beratungsfachkräfte
  • Die Schuldnerberatung ist ein komplexer Fachdienst. Auf Grund der vielfältigen fachlichen Anforderungen in diesem Arbeitsfeld muss mit einer Vergütung von mindestens IV b bzw. IV a als Regelvergütung ausgegangen werden. Je nach Berufserfahrung und fachlicher Verantwortung erfolgt die Vergütung auch gemäß den tarifvertraglichen Regelungen nach III (BAT/AVR/BAT-KF). · Verwaltungskräfte Nach KGSt-Gutachten ist für eine Vollzeitberatungsfachkraft eine Verwaltungskraft mit 25% Arbeitszeit notwendig.
  • Nebenkosten Fortbildung, Supervision etc.
  • Honorarkosten für Anwälte, Fachleute für Steuern, Immobilien etc.

7.1.2 Sachkosten fallen an für:

  • allgemeiner Bürobedarf: Papier, Porto, Kopierkosten, etc.
  • Raumkosten (Miete bzw. Abschreibung, Reinigung, Strom, Heizung, etc.)
  • Telekommunikation, EDV Instandhaltung (Einrichtungsgegenstände, Bürogeräte)
  • Periodika und Literatur
7.1.3 Verwaltungs(Gemein-)kosten umfassen:

anteilige Kosten für Leitungsaufgaben und andere Dienstleistungen des Trägers (z.B. Personalverwaltung). Es werden (lt. KGSt) jeweils bis zu 20% der Brutto-Personalkosten für den/die Beratungsfachkräfte/innen und die Verwaltungskraft anerkannt

7.2 Beispiel einer Kostenberechnung für eine Schuldnerberatungsstelle

7.2.1 Durchschnittliche Jahreskosten

Wegen der in der Praxis noch unterschiedlichen Bewertungen der Stelle einer Schuldnerberatungsfachkraft wird die Kostenberechnung beispielhaft in drei Varianten erstellt. Bei Variante I wird der Beratungsfachkräfte nach IV b, bei Variante II der Beratungsfachkräfte nach IV a und bei Variante III nach III eingruppiert. Zu jedem Vollzeit beschäftigten Beratungsfachkräfte sind die Kosten für eine Verwaltungskraft mit 25 % Arbeitszeit hinzuzurechnen, die nach V c entlohnt wird. Die Personal- und Sachkosten entsprechen den Regelungen des Gutachten der KGSt, Bericht 6/2002. Dabei ist von folgenden durchschnittlichen Kosten (laut Tarifvertrag 2002, gültig bis 31. 10. 2002) bezogen auf die alten Bundesländer auszugehen:

Variante I Variante II Variante III
Durchschnittliche Kosten eines Arbeitsplatzes für 1 Beratungsfachkräfte/in (Dipl. Sozialarbeiter, 38,5 Std./W.):
Tarifstruktur IV b
IV a
III
Personalkosten für 1,0 Vollzeitberatungsfachkräfte/in (38,5 W/Std.) 49.900,00 53.100,00 58.300,00
Personalkosten für 0,25 Verwaltungskraft V c (9,63 W/Std.) 10.000,00 10.000,00 10.000,00
Nebenkosten (Fortbildung, Supervision etc.) ca. 1.500,00 1.500,00 1.500,00
Honorarkosten (Anwälte, Steuerberatungsfachkräfte etc.) ca. 3.000,00 3.000,00 3.000,00
64.400,00 67.600,00 72.800,00
Sachkosten ( allgem. Bürobedarf), 15 % von Brutto-PK 9.660,00 10.140,00 10.920,00
Gemeinkosten (10% von Brutto-PK) 6.440,00 6.760,00 7.280,00
Summe 80.500,00 84.500,00 91.000,00

Zu den hier ausgewiesenen Personal-, Sach- und Gemeinkosten ist zu berücksichtigen, dass die Sachkosten bei einer Schuldnerberatungsfachkraft höher sind als dies im KGSt-Bericht ermittelt wurde. Insbesondere durch die Einführung der Verbraucherinsolvenzordnung entsteht ein erhöhter Aufwand für Schriftwechsel, Kopien, Porto- und Telefonkosten, der bei einer exakten Berechnung der Sachkosten noch hinzuzurechnen ist. Auch sind in diesem Bericht die erforderlichen Nebenkosten wie Fortbildung und Honorarmittel und die Honorarkosten für Anwälte oder Steuerberater nicht aufgeführt.

7.2.2 Kosten pro Beratungsstunde

Arbeitsstunden je Beratungsfachkraft:

jährlich (lt. KGSt-Gutachten): 1.574 Arbeitsstunden

abzüglich ,,Rüstzeit“ von mindestens 35 % für nicht fallbezogene Tätigkeiten wie Dienstgespräche, allgemeine Verwaltungstätigkeiten, Fort- und Weiterbildung, Öffentlichkeitsarbeit / Prävention etc.: 551 Arbeitsstunden
tatsächliche Beratungszeit pro Beratungsfachkraft: 1.023 Arbeitsstunden

Kosten pro Beratungsstunden (bei 1.023 Arbeitsstunden jährlich):

  • Variante 1: Vergütungsgruppen BAT IV b: 78,69 / Std.
  • Variante 2: Vergütungsgruppen BAT IV a: 82,60 / Std.
  • Variante 3: Vergütungsgruppen BAT III: 88,96 / Std.

8. Fazit

Wenn Schuldnerberatung die ihr zugedachten Aufgaben und Funktionen in der Praxis übernehmen soll, muss sie finanziell so ausgestattet werden, dass sie hierzu in der Lage ist. Die politischen Entscheidungsträger haben jetzt die Chance und die Gelegenheit, die erforderlichen Voraussetzungen hierfür zu schaffen, indem sie die Schuldnerberatung in den entsprechenden Leistungsgesetzen finanziell absichern.

Anmerkungen

  1. Lebenslagen in Deutschland ­ Der erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, Drucksache des Deutschen Bundestages Nr. 14/5990 vom 8. Mai 2001
  2. Korczak, Dieter (2001): Überschuldung in Deutschland zwischen 1988 und 1999, Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Band 198 der Schriftenreihe des BMFSFJ
  3. siehe Anmerkung 1
  4. Neuer Rahmenplan für ambulante Beratungs- und Behandlungsstellen für Suchtkranke und ihre
    Angehörigen (1992), in: Informationen zur Suchtkrankenhilfe, Heft 2, S. 11 ff
  5. Verwaltungsvorschrift des Sozialministeriums zur Durchführung der Richtlinien für die Förde-
    rung von sozialpsychiatrischen Diensten (1991), in: GABl. 1991, Nr. 10
  6. Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten (1995): Abschnitt 1: Aufklärung, Verhütung, Familienplanung und Beratung, § 4 Öffentliche Förderung der Beratungsstellen, 21. August 1995, BGBl. I 1050, zul. g. 26. Mai 1997, BGBl. I 1130
  7. Korczak, Dieter (1997): Marktverhalten, Verschuldung und Überschuldung privater Haushalte in den neuen Bundesländern, Gutachten, Stuttgart / Berlin / Köln
  8. Büro für sozialwissenschaftliche Beratung (1996): Bedarf an Verbraucherinsolvenzberatung in Nordrhein-Westfalen. Gutachten im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen, unveröffentlichtes Manuskript, Köln
  9. Kommentar zum BSHG / Schellhorn / Jirasek / Seipp
  10. Kommunale Gemeinschaftsstelle (KGSt) 2002: Kosten eines Arbeitsplatzes, Bericht Nr. 6/2002, Köln
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