Kurz-Stellungnahme zum Referentenentwurf eines siebten Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen

Die Wohlfahrts- und Verbraucherverbände sowie die BAG Schuldnerberatung begrüßen die Bereitschaft der Bundesregierung, die Höhe der Pfändungsfreigrenzen zeitnah zu reformieren. Diese Erhöhung ist überfällig. Die seit 1992 unveränderte, statische Pfändungstabelle hat in der Vergangenheit nicht nur dazu geführt, dass viele erwerbstätige Schuldner und ihre Familien unter dem Existenzminimum leben mussten, sondern hat auch dazu geführt, dass der Anreiz für Schuldner, trotz hoffnungsloser Schuldenberge einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, auf ein Minimum reduziert wurde.

Zu der nun vorliegenden Entwurfsfassung (Stand: 9. Oktober 2000) soll an dieser Stelle nur kurz Stellung genommen werden. Wir verweisen insoweit auf die bereits erfolgte Stellungnahme (von Kohte/Zimmermann) vom 5. April 2000 durch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Abstimmung mit der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände und der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung (veröffentlicht im Nachrichtendienst des Deutschen Vereins Heft 8/2000, S. 244-253).

1. Änderung des § 850c ZPO mit Dynamisierung

Die vorgesehene Erhöhung der Freibeträge nach § 850c ZPO ist aus unserer Sicht angemessen, um das Existenzminimum des Schuldners zu gewährleisten und ihm einen Anreiz zur Erwerbstätigkeit zu belassen. Der sozialpolitischen Begründung dieses wichtigen Reformvorhabens (vgl. „A. Allgemeines“, S. 13 ff.) wird inhaltlich voll zugestimmt.

Insbesondere ist zu begrüßen, dass auch die Freibeträge für Unterhaltsberechtigte (allerdings nur unterproportional) angehoben werden sollen. Die Erhöhung ist insbesondere auch auf Grund der seit der letzten Erhöhung exorbitant angestiegenen Wohnungskosten gerechtfertigt. Insoweit sei hier nur auf den Mietenbericht der Bundesregierung (BT Drucksache 14/3070) verwiesen, nach dem die Mieten in der Zeit von 1992 bis 1998 allein um ca. 25% gestiegen sind.

Die Erhöhung ist systemgerecht, denn nur bei einem Pfändungsfreibetrag, der über dem Existenzminimum liegt, können für eine verschärfte Pfändung nach § 850d bzw. § 850f Abs. 2 ZPO noch (Differenz-)Beträge als sog. Vorrechtsbereich frei werden.

Die Erhöhung dürfte auch zur Gerichtsentlastung beitragen, da Anträge nach § 850f Abs. 1 lit. a ZPO nur noch in Einzelfällen erforderlich werden dürften.

In diesem Zusammenhang ist auch die Dynamisierung der Freibeträge nachdrücklich zu begrüßen. Die Dynamisierung soll dazu beitragen, dass das Existenzminimum auch in den Folgejahren gedeckt sein wird und die Vollstreckungsgerichte von Erhöhungsanträgen weitgehend verschont bleiben. Eine Orientierung an der existenzsichernden Bedarfsseite, und damit am steuerrechtlichen Grundfreibetrag, erscheint auch wegen der Parallelen zu § 850f Abs. 1 lit. a ZPO folgerichtig. Allerdings ist anzumerken, dass sich Justiz und Sozialberatung dann künftig mit drei unterschiedlichen Dynamisierungsfaktoren (Regelbetrag-VO = allgemeine Einkommensentwicklung; Prozesskostenhilfebekanntmachung = Grundbetrag gem. §§ 79, 82 BSHG) konfrontiert sehen. Die Praxis konzentriert sich auf die Anwendung der veröffentlichten Tabellenwerke, so dass insoweit kaum Irritationen zu befürchten sind. Allerdings wäre der Gesetzgeber gut beraten, die weitere Entwicklung kritisch zu beobachten und einen Zeitpunkt festzuschreiben, zu dem verglichen wird, ob die nach unterschiedlichen Parametern erhöhten Einkommensgrenzen noch ein sinnvolles Gesamtsystem ergeben.

Problematisch erscheint, dass die neue Pfändungstabelle an der „Kappungsgrenze“ des RefE (Stand: Nov. 1999) in Höhe von 4.376 DM festhält. Das darüber hinausgehende Einkommen – das heißt der „Mehrbetrag von 4.376 DM“ (vgl. letzte Zeile in der Anlage § 850c) – wäre voll pfändbar. Wenn jedoch der Grundfreibetrag von 1.209 auf 1.800 DM gesteigert wird (d.h. um fast 50 %) sollte die Tabelle auch am „oberen Ende“ entsprechend fortgeschrieben werden. In Art. 1 Nr. 4 RefE ist dies für die Grenzwerte in § 850f Abs. 3 ZPO folgerichtig geschehen (kritisch dazu unten Anmerkung 4).

Die verkürzte Tabellenfassung benachteiligt die Schuldnerseite unangemessen, und es wird ohne erkennbaren Grund von einer jahrzehntelang erprobten Tabellensystematik abgewichen. Speziell bei Fallgestaltungen mit vier und mehr Unterhaltsverpflichtungen müsste die Sicherung des Existenzminimums über eine Vielzahl von § 850f-Anträgen erfolgen, was einerseits Justiz und Beratungsstellen belasten würde, andererseits die Mehrzahl der nicht beratenen Haushalte unter das Existenzminimum drücken dürfte.

Die Pfändungstabelle sollte deshalb bis zu einem bereinigten Monatseinkommen von ca. 5.500 DM fortgeschrieben werden.

Grundsätzlich sollte überprüft werden, ob es wirklich im Sinne aller Beteiligten ist, den Betrag, der die Kappungsgrenze übersteigt, vollständig für pfändbar zu erklären. Erfahrungsgemäß führt dies in der Praxis dazu, dass Schuldner nicht motiviert sind (nicht motiviert sein können), ein höheres Einkommen zu erzielen. Zu bedenken ist hierbei, dass die Erzielung höherer Einkommen in diesem Bereich regelmäßig auch mit höheren, nicht im Einzelnen spezifizierbaren Nebenkosten verbunden ist, z.B. Mehraufwand bei Kleidung, Fahrtkosten, Arbeitsmitteln sowie soziale Kontakte, Aktivitäten und die

Beteiligung am gesellschaftlichen Leben (was für den Erhalt eines gut dotierten Arbeitsplatzes durchaus notwendig sein kann). Es dürfte daher für alle Beteiligten, auch für die Gläubiger, interessengerecht sein, den Schuldner dadurch zum höheren Erwerbseinkommen zu motivieren, dass ihm auf jeden Fall ein Teil der erwirtschafteten Beträge verbleibt.

Anknüpfend an § 850c Abs. 2 ZPO empfiehlt es sich, dem Schuldner unabhängig von der Anzahl seiner Unterhaltsberechtigten jeweils 3/10 des überschießenden Einkommens zu belassen.

2. § 850a Nr. 4 ZPO

Zu begrüßen ist die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages, der bei den vergangenen Erhöhungen der Pfändungsfreigrenzen unterproportional erhöht wurde und nicht mehr den aktuellen Lebensbedürfnissen und Einkommensverhältnissen entsprach.

3. § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO

Auch die Erhöhung der Pfändungsfreibeträge für die Sterbegeldversicherungen
erscheint dringend notwendig.

Hier bleibt allerdings unter Hinweis auf die ausführliche Stellungnahme von Kohte/Zimmermann anzumerken, dass nach wie vor eine sehr große Vollstreckungsschutz-Lücke bezüglich von Kapital-Lebensversicherungen besteht, die der Altersvorsorge insbesondere Selbstständiger dienen. Diese Kapital-Lebens- versicherungsverträge sind häufig die einzige Alterssicherung gewerbetreibender Personen. Dennoch können sie nach wie vor in voller Höhe gepfändet werden, sodass im Alter keinerlei Absicherung besteht und der in die Insolvenz geratende Gewerbetreibende über die Sozialhilfe der Allgemeinheit zur Last fällt. Hier ist dringend eine Ergänzung des Pfändungsschutzes dahingehend geboten, dass solche Alterssicherungen als unpfändbar definiert werden, soweit sie einer angemessenen Sicherung der Altersvorsorge dienen. Dies wird auch nicht durch das Rentenanpassungsgesetz (sogenanntes Riester-Sparen) gewährleistet, da hier offenbar nur die neu erworbenen Ansprüche als unübertragbar qualifiziert sind.

4. § 850f ZPO

Auch wenn durch die Erhöhung der Pfändungsfreigrenze und deren Dynamisierung in Zukunft ein Großteil der Anträge auf Anpassung der Pfändungsfreigrenzen an das jeweilige sozialhilferechtliche Existenzminimum überflüssig werden dürften, bedarf es trotzdem hier weiterer kleinerer Korrekturen:

  • Zum einen sollte klargestellt werden, dass bei der Bemessung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums auch ein Mehrbetrag für Erwerbstätigkeit gem. § 76 Abs. 2a BSHG zu berücksichtigen ist (hierzu Grote, Einkommensverwertung S. 144 ff. m. w. N.). Denn in dieser Frage hat sich die Rechtsprechung, insbesondere durch die Entscheidung des OLG Köln (Rpfleger 1999, S. 548 f.; siehe auch LG Wuppertal 6 T 801/00 vom 17.10.2000) in eine Richtung entwickelt, die von der Intention des Gesetzgebers nicht gedeckt sein kann. Den Umfang des über § 850f Abs. 1 lit. a ZPO zu gewährleistenden Schuldnerschutzes hat das OLG Frankfurt (26 W 16/2000 vom 17.08.2000; besprochen von Zierz-Isaac/Zimmermann in LAG-SB Hessen / Infodienst November 2000, S. 17) entgegen OLG Köln erst jüngst verfassungsrechtlich korrekt hergeleitet. Der derzeitige Gesetzeswortlaut in § 850f Abs. 1 ZPO („Abschnitt 2“ des BSHG) ist deshalb dringend korrekturbedürftig; nur auf diesem Weg lässt sich eine einheitliche Vollstreckungsrechtsprechung sichern.
  • In § 850f Abs. 1 ZPO ist des weiteren klarzustellen, dass auch das gesamte Einkommen (und nicht nur ein Teil des pfändbaren Betrages) pfändungsfrei gestellt werden kann, wenn es niedriger ist, als das sozialhilferechtlich notwendige Existenzminimum.
  • Darüber hinaus sollte insbesondere im Hinblick auf die Insolvenzordnung klargestellt werden, dass einzelne Gläubigerinteressen keine Berücksichtigung finden, wenn das sozialhilferechtliche Existenzminimum des Schuldners nicht gedeckt ist. Entsprechende Formulierungsvorschläge zu § 850f Abs. 1 ZPO sind in der ausführlichen Stellungnahme von Kohte/Zimmermann enthalten.

In der Neufassung des § 850f Abs. 3 ZPO soll der Grenzwert „systemgerecht“ um 48,8 %
– beim Monatseinkommen von 3.744 auf 5.574,06 DM – angehoben werden (vgl. Art. 1 Nr. 4). Diese Anhebung steht allerdings im Widerspruch zur allzu niedrigen Kappungsgrenze (siehe oben Anmerkung 1). Der Endpunkt der Pfändungstabelle in Höhe von derzeit 4.376 DM/Monat läge weit unter dem neuen Grenzwert in § 850f Abs. 3 ZPO (von jetzt 5.574,06 DM). Dies scheint ein Konstruktionsfehler zu sein, denn § 850f Abs. 3 ZPO lässt lediglich eine den Gläubiger begünstigende Anhebung des pfändbaren Betrages zu. Wenn dem Gläubiger nach derzeitiger Entwurfslage aber schon der gesamte überschießende Betrag ab 4.376 DM als pfändbar zusteht, ist eine Gläubigerbesserstellung gar nicht mehr erforderlich bzw. möglich.

Die Pfändungstabelle sollte bis zu einem bereinigten Monatseinkommen von ca. 5.500 DM fortgeschrieben werden. § 850f Abs. 3 ZPO ist hingegen ersatzlos zu streichen, wie dies bereits in der ausführlichen Stellungnahme von Kohte/Zimmermann hergeleitet ist.

5. Weitere Reformnotwendigkeiten

Auf den gesetzgeberischen Handlungsbedarf zur Sicherung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums (entsprechend der Erstfassung des RefE) ist bereits hingewiesen worden. Die entsprechende Anwendung der §§ 850 ff. ZPO auf Abtretungen ist entscheidend für das Durchhaltevermögen der Schuldnerseite. Insbesondere während der mehrjährigen Wohlverhaltensphase ist die Frage der Existenzsicherung des Schuldners von Bedeutung. Es ist zu bedauern, dass die ursprünglich vorgesehene Reform des § 400 BGB aus dem Entwurf gestrichen wurde.

Wie bereits in der ausführlichen Stellungnahme von Kohte/Zimmermann vorgetragen, gibt es im Vollstreckungsschutz weitere erhebliche Lücken, die dringend, wenn auch möglicherweise nicht im Rahmen des aktuellen Reformvorhabens, geändert werden müssen.

An dieser Stelle seien insbesondere die Kontopfändung und das Wohngeld genannt.

  • Die Möglichkeit der Kontopfändung hat sich zu einem großen Ärgernis sowohl auf Schuldner- als auch auf Drittschuldnerseite entwickelt. Regelmäßig wird durch Kontopfändungen auf eigentlich unpfändbare Beträge zugegriffen, so dass sie die Existenzgrundlage der Schuldner gefährden und überbrückende Sozialhilfeleistungen erforderlich machen. Die Gerichte werden durch entsprechende Schutzanträge nicht unerheblich belastet. Für die Drittschuldner ist die Bearbeitung der Kontopfändungen mühsam, die Überwachung teuer. In der Praxis führen sie regelmäßig zur Kündigung der Konten. Damit verschärft sich der Teufelskreis, in dem sich der Schuldner befindet, denn ohne Konto findet er weder eine Anstellung, noch kann er sich selbstständig machen. Hier ist dringend eine Gesetzesinitiative anzuregen.
  • Auch im Bereich des Wohngeldes ist durch die Rechtsprechung eine Entwicklung eingetreten, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sein kann. Es ist mittlerweile fast einhellige Auffassung der Landgerichte, dass Wohngeldansprüche dem Grunde nach pfändbar sind und mit anderen Einkünften eine Zusammenrechnung (§ 850e Nr. 2a ZPO) erfolgen kann. Die Argumentation hierzu ist recht formal, und kann jedenfalls nicht der Intention des Gesetzgebers entsprechen, denn Wohngeld leistet der Staat sicherlich nicht zur Deckung privater Schulden.

gez. Hugo Grote und Dieter Zimmermann Düsseldorf/Alsbach, den 5. Dezember 2000

Verfasst in: PositionenTags: