Regionale Verhandlungsprozesse zur Unterstützung und Mitfinanzierung der Schuldnerberatung durch regional engagierte Finanziers

Die aktuelle Situation in der Schuldnerberatung ist durch zwei Entwicklungen ge­prägt. Auf der einen Seite führt die stetig wachsende Zahl überschuldeter Haushalte zu einer wachsenden Zahl überschuldeter Ratsuchender, auf der anderen Seite ver­hindern die erheblichen Sparzwänge bei der öffentlichen Hand und den Wohlfahrts­verbänden einen bedarfsgerechten Ausbau der Schuldnerberatungsstellen. Die Finanzierung der Schuldnerberatungsstellen setzt sich derzeit in erster Linie aus Eigenmitteln der Träger, Zuschüssen von Arbeitsämtern, Kommunen und einzelnen Bundesländern zusammen. Der Anteil der finanziellen Unterstützung seitens der Gläubiger (insbesondere Sparkassen) liegt derzeit bei ca. 1 %.

Um das nach Ansicht der AG SBV benötigte Schuldnerberatungsnetz (2 Berater pro
50.00 Einwohner, bundesweit 3.300 Schuldnerberater/innen) weiter aufzubauen, sollte die bestehende Mischfinanzierung durch eine stärkere Beteiligung der Finanz-, Wohn- und Kreditwirtschaft, der Versicherungen und des Handels ausgewogener gestaltet werden.

In drei Gesprächsforen zwischen der AG SBV und Vertretern der oben genannten Gläubigerverbände wurden Möglichkeiten einer Mitfinanzierung von Schuldnerbera­tung durch diese Verbände erörtert. Bei diesen Gesprächen, die unter Beteiligung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stattfanden, wur­de deutlich. dass konkrete Modelle der Gläubigermitfinanzierung eher auf regionaler Ebene zu realisieren sind.

Im Auftrag der AG SBV und gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Se­nioren, Frauen und Jugend hat das Institut für Finanzdienstleistungen e V (!FF) ein von der AG SBV entwickeltes Stufenmodell zur Mitfinanzierung von Schuldnerbera­tungsstellen in einigen Punkten weiter entwickelt und konkrete Vorschläge für eine praktische Umsetzung ausgearbeitet. Auf Grundlage der Ergebnisse dieser Expertise wurde das hier nun vorliegende Modell „Regionaler Verhandlungsprozesse zur Un­terstützung und Mitfinanzierung der Schuldnerberatung durch regional engagierte Finanziers“ entwickelt.

Die AG SBV möchte mit diesem Modell dazu anregen. auf regionaler Ebene solche Verhandlungsprozesse mit dem Ziel einer finanziellen Unterstützung zu beginnen. Auch sollten die Gesprächskontakte dazu genutzt werden weitere Formen und Inhalte der Zusammenarbeit zu vereinbaren. Selbstverständlich ist die AG SBV an den Erfahrungen der Verhandlungsprozesse auf regionaler Ebene sehr interessiert und würde sich über entsprechende Rückmeldungen freuen.

Marius Stark Sprecher der AG SBV

Situationsbeschreibung

Die Zahl überschuldeter Haushalte

Die Zahl überschuldeter privater Haushalte in der Bundesrepublik wurde schon für 1997 mit 2.62 Millionen (Mittelwert) geschätzt‘ Ein Rückgang des ist man­ gels signifikant positiver Veränderung bei den Überschuldungs1ndikatoren (u.a. Arbeitslosenquote. Höhe der Miet- und Energieschulden, Anzahl abgegebener eidesstattlicher Versicherungen, Kreditnachfrage privater Haushalte, Entwick­lung der Kreditkündigungen) nicht absehbar.

Situation der Schuldnerberatung

Die Schuldnerberatung ist für überschuldete private Haushalte oftmals letzter Adressat, zu dem noch Kontakt aufgenommen wird. Nach einer Armutsuntersu­chung des Deutschen Caritas-Verbandes, die vor Inkrafttreten der neuen Insol­venzordnung durchgeführt wurde, sind rund 50% der Ratsuchenden der Caritas von Ver- oder Überschuldung betroffen Die Insolvenzordnung hat für die Schuldnerberatung nicht nur neue Aufgabenfelder mit sich gebracht. Auch die Zahl der Ratsuchenden, zu denen zunehmend auch gescheiterte Existenzgrün­der oder gescheiterte Kleinstunternehmer gehören, hat sich seitdem noch ein­mal erhöht. Sollte die derzeit diskutierte Frage, ob für das Verbraucherinsol­venzverfahren Prozeßkostenhilfe zu gewähren ist, positiv beantwortet werden, wovon nach den unmißverständlichen Äußerungen des Bundesjustizministeri­ums auszugehen ist, wird die Zahl außergerichtlicher Regulierungsbemühungen, an denen Schuldnerberatung maßgeblich beteiligt ist, sowie der Begleitung von Ratsuchenden im Verbraucherinsolvenzverfahren weiter ansteigen.

Schuldnerberatung beschränkt sich aber nicht auf eine Beteiligung an der Schuldenregulierung Schuldnerberatung ist eine ganzheitlich zu verstehende Aufgabe, die den Ratsuchenden in ökonomischer, juristischer, aber auch psy­cho-sozialer Hinsicht Unterstützung bei einer künftig geordneten Haushaltsfüh­rung gewährt und dabei hilft, erneuten Ver-/ Überschuldungssituationen vorzu­beugen. Die Tätigkeit von Schuldnerberatung kommt somit nicht nur dem Rat­suchenden zugute, sondern auch seinen Gläubigern sowie der Gesellschaft insgesamt:

  • Die Schuldnerberatung stellt den in der Regel unterbrochenen Kontakt zwi­ schen dem Schuldner und seinen Gläubigern wieder her und bereitet zu­ sammen mit dem Schuldner eine realisierbare Forderungsabwicklung und damit größtmögliche Gläubigerbefriedigung vor.
  • Den Gläubiger steht mit der eingeschalteten Schuldnerberatung ein zuver­ lässiger Ansprech- und Verhandlungspartner zur Verfügung.
  • Die Gläubiger erhalten ohne weitere eigene Bemühungen aktuelle Informa­tionen zur Lebens- und Einkommenssituation ihres Schuldners. Ihre mit dem Schuldnervorgang verbundenen internen (Rechtsvertolgungs-) Kosten und sonstigen Aufwendungen reduzieren sich.
  • Der ganzheitliche Beratungsansatz der Schuldnerberatung stärkt u.a. die eigenverantwortliche Mitarbeit des oftmals ob seiner Situation resignierten Schuldners und erhöht das Selbsthilfepotential was einer zügigen und ge­ ordneten Forderungsabwicklung und der Vermeidung einer neuen Über­schuldungssituation zugute kommt.
  • Die Budgetberatung der Schuldnerberatung stellt die Zahlungsfähigkeit des Schuldners wieder her. Der Schuldner wird in den Wirtschaftskreislauf reintegriert und entfaltet (neue) Kaufkraft
  • Neben einer geordneten Forderungsabwicklung bewirkt Schuldnerberatung oftmals die Sicherung des Arbeitsplatzes des Schuldners, verhindert Ob­ dachlosigkeit und eine mögliche Straffälligkeit Mittelbare Folge dieser Be­ ratungsertolge ist die Entlastung der Sozialhaushalte, die Beibehaltung oder Erzielung von Steuereinnahmen sowie Sozialversicherungsbeiträgen.

Der Beratungsbedarf

Schon vor Inkrafttreten der neuen Insolvenzordnung reichten die Berater­-Kapazitäten in den Schuldnerberatungsstellen nicht aus, um die Nachfrage hin­ reichend abzudecken. Der seit dem 1.1.1999 weiter steigende Beratungsbedarf wird zudem von sich weiter verschlechternden finanziellen Rahmenbedingun­ gen begleitet. Die öffentlichen Haushalte sind von immer weitergehenden Spar­zwängen betroffen, was Auswirkungen auf die kostendeckende Finanzierung von Schuldnerberatung hat. Selbst die Finanzierung des ohnehin nicht ausrei­chenden Personalbestandes ist ungesichert und somit schon der Fortbestand bestehender Beraterstellen gefährdet.

Um bestehende Arbeitsplätze von Schuldnerberatern sichern und einen qualita­tiv anspruchsvollen Beratungsservice aufrecht erhalten zu können, von dem nicht nur die Ratsuchenden, sondern auch weiterhin die Gläubiger und die Ge­sellschaft insgesamt profitieren, sind Schuldnerberatungsstellen bzw. ihre Trä­ er auf die Erschließung weiterer Finanzquellen angewiesen.

Regionale Verhandlungsprozesse

Da es in der Bundesrepublik auf regionaler Ebene bereits verschiedene Finanzierungs-/Kooperationskonzepte gab und gibt, in denen Gläubiger die Schuld­nerberatung vor Ort finanziell, durch Bereitstellung von Sachmitteln und/oder spezifischem Know how unterstützt haben bzw. aktuell unterstützen, soll auf dieser positiven Kommunikations- und Kooperationsbasis aufgebaut werden. Auf regionaler Ebene soll die Akquisition finanzieller Fördermittel seitens regio­nal ansässiger Gläubiger bzw. Gläubigerverbände möglichst kooperativ von den dortigen Schuldnerberatungsstellen bzw. ihren Trägern – also in Form einer Verbundlösung – initiiert werden. Den Begleitrahmen für die Akquisition sollten regionale Verhandlungstische bilden. an denen sich auch andere gesellschaftli­ che Kräfte der Region beteiligen können. Die zur Installierung solcher regionalen Verhandlungstische erforderlichen (in­ ternen und externen) Vorbereitungs-, Planungs- und Umsetzungsschritte wur­den im Rahmen des Projekts „Struktunerung regionaler Verhandlungsprozesse zur Beteiligung von Glaub1gergruppen an der Finanzierung von Schuldnerbe­ratungsstellen“ erarbeitet.

Das am Ende dargestellte Musterbeispiel greift die reale Situation der Schuld­nerberatung in Düsseldorf auf Der Beratungs- und Finanzierungsbedarf für Düsseldorf sowie die aktuelle Finanzierungssituation der Düsseldorfer Schuld­nerberatungsstellen beruht auf Ermittlungen der Arbeitsgemeinschaft Schuld­ nerberatung der Verbände (AG SBV).

Das (idealtypische) regionale Verhandlungsmodell im Überblick:

  1. Klärung trägerübergreifender Kooperationen
  2. Bedarfsanalyse
  3. Initiierung regionaler runder Tische
  4. Konstituierung des Runden Tisches
  5. Zielbestimmung
  6. Aushandlungsphase
  7. Umsetzungsphase
  8. Musterbeispiel Düsseldorf

1. Klärung trägerübergreifender Kooperationen der Träger der Schuldnerbera­tung

Die vertretenen Schuldnerberatungsstellen bzw ihre Trager überlegen welche Formen der Zusammenarbeit angestrebt werden. Auf diese Weise können einerseits vorhandene Kapazitäten gebündelt werden. An­dererseits würde den anzusprechenden engagierten Unterstützern und Finanziers ein zentraler Ansprech- und Verhandlungspartner zur Verfügung stehen. Ansatzpunkt für ein solches kooperatives Vorgehen kann sich daraus ergeben, dass bereits ein regionaler Arbeitskreis existiert, der die Arbeit der Schuldnerberatung in der Region koordiniert.

Für die Fortsetzung des Musterbeispieles wird angenommen. daß sich die Träger der Schuldnerberatungsstellen hinsichtlich ihrer Akquisitionsbemühungen zu einer „Ar­beitsgemeinschaft Schuldnerberatung“ zusammenschließen. (Hinweis In einigen Regionen bestehen zum Teil Arbeitsgemeinschaften gemäß §95 BSHG, die sich ebenfalls dem Thema Schuldnerberatung widmen.)

2. Bedarfsanalyse

  • kurzfristiger Bedarf: Akquirierung von Finanzmitteln zur Sicherung der vorhan­ denen Personalkapazitäten und Sachausstattungen
  • mittel-/langfristiger Bedarf: Erhöhung des Personalbestandes wegen stetig an­ steigender Beratungsnachfrage in Anlehnung an den von der AG SBV ermittelten
    Bedarfsschlüssel (Jahreskostenaufwand für 1 Beraterstelle inkl. ½ Verwaltungs­ kraft DM 185,730,00; angelehnt an die hierfür niedrigste BAT-Vergütungsstufe) ;

3. Initiierung regionaler Runden Tische

Die „Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung“ identifiziert die in der Region ansässi­ gen engagierten Finanziers, die als Teilnehmer des Runden Tisches in Frage kom­men. Dabei sollte man sich nicht nur auf die klassischen Gläubigergruppen konzent­rieren, sondern unter dem Aspekt der Stabilisierung des regionalen Wirtschaftsraums Gesprächspartner auswählen, z.B. regionale Wirtschaftsbetriebe, Banken, Woh­ nungswirtschaft, Energieversorgungsunternehmen, Privatleute, etc.. Die Teilnehmer einigen sich auf einen Moderator.

4. Konstituierung des Runden Tisches

  • Die „Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung“ sowie die beteiligten Unterstützer und Finanziers stellen sich und ihre Arbeit vor
  • Interessenaustausch: Die Beteiligten tauschen zunächst ihre gegenseitigen Inte­ressen und Erwartungen aus.
    Die Mitglieder des Runden Tisches erstellen einen gemeinsamen Ablaufplan für weitere konkrete Schritte der zukünftigen Zusammenarbeit.
    Die Beteiligten verständigen sich auf eine Fortführung der Kontakte im Rahmen regelmäßig stattfindender themenbezogener Gespräche.

5. Zielbestimmung

Die „Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung“ definiert als vorrangiges Ziel, die Si­cherung und den Ausbau der Schuldnerberatung. Dabei spielt der Erhalt qualitativer Standards in der Schuldnerberatung und deren Optimierung eine wesentliche Rolle. Darüber hinaus sollen alle Fragen von gemeinsamen Interesse abgehandelt werden.

Erläuterung: Bei Wegfall der bislang finanziell ungesicherten Beraterstellen würde die Schere zwischen Beratungsnachfrage und Beratungskapazität in den Schuldnerbe­ratungsstellen noch weiter auseinander driften Dann wird die Beratung überschul­deter Privathaushalte bzw. der zunehmend nachfragenden gescheiterten Existenz­gründer und die Einleitung von Schuldenregulierungsmaßnahmen, die eine Rückkehr der Ratsuchenden in den regionalen Konsumprozeß vorbereiten oder ermöglichen, quantitativ weiter abnehmen. Die Beratungskapazitäten für den Einzelfall werden sich verringern.

Die „Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung“ schlägt vor, dass der Runde Tisch von einer für alle Beteiligten akzeptierten regionalen Persönlichkeit als Moderator geleitet wird.

6. Aushandlungsphase

Der aktuelle Finanzierungsrahmen und zusätzliche Finanzbedarf der Schuldnerbe­ ratung wird dem Runden Tisch vorgelegt. zur Darstellung des Gesamtkostenrahmens von voraussichtlich DM…….., werden den engagierten Unterstützern und Finanziers periodisch die Kostenelemente (Vergütungsgruppe, Jahresgehalt brutto u.ä.) nachvollziehbar dargestellt; die aktuelle Finanzierung der Schuldnerberatung und der zusätzliche Finanzie­rungsbedarf zur Sicherung und zum Ausbau der Schuldnerberatung werden den Beteiligten vorgelegt.

Die Beteiligten diskutieren Bedingungen und Rahmen eines finanziellen Engage­ ments und verständigen sich auf:

  • die Höhe und der Zeitrahmen des finanziellen Engagements der Finanziers wird bestimmt
  • den Modus der schuldnerberatungs-/trägerinternen Verteilung der finanziellen Mittel.
  • die Form des Berichtswesens

7. Umsetzungsphase:

  • Die Finanziers veranlassen die Auszahlung der vereinbarten finanziellen Förder­beträge;
  • Die in der „Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung“ vertretenen Schuldnerbera­tungsstellen setzen ihre versprochene Gegenleistung „Erhalt qualitativer Stan­dards in der Schuldnerberatung und deren Optimierung“ um:
  • Vorbereitung und Veröffentlichung der Presseerklärung zur Konstituierung des Runden Tisches und zum finanziellen Engagement der Beteiligten zur Sicherung und zum Ausbau der Schuldnerberatung

8. Musterbeispiel: Bedarfsanalyse am Beispiel der Stadt Düsseldorf

Die im Auftrag des Bundesministeriums für Familie. Senioren, Frauen und Jugend erstellte Studie der GP Forschungsgruppe hat für die Bundesrepublik für das Jahr 1997 rund 2,62 Mio. überschuldete Privathaushalte (Mittelwert) ermittelt. Bezogen auf die Gesamtzahl privater Haushalte in der Bundesrepublik entspricht dies einer Überschuldungsquote von 7,25%.

Unter Übertragung dieser empirisch ermittelten Daten auf die Stadt Düsseldorf mit insgesamt rund 569.000 Einwohnern sind rund 22.548 Privathaushalte überschuldet. Bei einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von 2,2 Personen pro Haushalt sind von der Uberschuldung insgesamt rund 49.605 Personen betroffen

Die Nachfrage in allen Düsseldorfer Schuldnerberatungsstellen nach Beratung für überschuldete Privathaushalte konnte schon in der Vergangenheit mit dem beste­henden Berater-Personal nicht gedeckt werden. Die Wartezeiten für Ratsuchende im laufenden Jahr 1999 haben sich im Vergleich zu den Vorjahren noch verlängert.

Zielvorstellung

Die Träger der Schuldnerberatungsstellen in Düsseldorf wollen gemeinsam Düsseldorf engagierte Unterstützer und Finanziers um Unterstützung zu einer (anteiligen) Deckung der derzeitigen Differenz (DM 648.480,00) zwischen dem Kostenaufwand für die in den Düsseldorfer Schuldnerberatungsstellen unter­haltenen Beraterstellen (DM 1.173.480,00) und der vorhandenen Finanzie­rungsmittel (DM 561.520,00) ersuchen. Die freien Träger können aufgrund eige­ner sinkender Einnahmen die fehlenden Finanzierungsmittel nicht mehr alleine auf­ bringen.

 

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