Position zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren

Mit Veröffentlichung der EU-Richtlinie 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren vom 16.07.2019 läuft die Umsetzungsfrist in nationales Recht von zwei Jahren.

Die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) nimmt die Veröffentlichung der Richtlinie der EU zum Anlass, zentrale Anliegen der sozialen Schuldnerberatung im nun folgenden Prozess der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht zu benennen.

Die AG SBV spricht sich für eine rasche Umsetzung aus, um der Beratungspraxis und den Betroffenen Sicherheit über den weiteren Verlauf zu geben und kein Vakuum entstehen zu lassen.

Die Insolvenzordnung erfüllt im Bereich der Entschuldung weitestgehend die Anforderungen der EU-Richtlinie 2019/1023. Erfordernisse für eine gesetzliche Anpassung gibt es insbesondere bei der Anpassung der Laufzeit des Entschuldungszeitraums und der Abschaffung der Mindestquote gemäß § 300 InsO. Darüber hinaus regt die AG SBV an, bei der Umsetzung in nationales Recht nachfolgende Aspekte mit zu berücksichtigen.

Positionen und Forderungen aus der Sicht der sozialen Schuldnerberatung zur Umsetzung der EU-Richtlinie.

1. Einheitliche Entschuldungsfrist von drei Jahren für alle natürlichen Personen

Die AG SBV fordert, die dreijährige Entschuldungsfrist auf alle natürlichen Personen zu übertragen.

Die Regelungen zur Entschuldung und damit auch die Entschuldungsfrist von drei Jahren gelten zunächst nur für Unternehmer. Die EU-Richtlinie sieht jedoch im Erwägungsgrund 21 die ausdrückliche Empfehlung vor, die Regelungen zur Entschuldung auch auf Verbraucher anzuwenden. Dies steht im Einklang mit dem verfassungsrechtlich verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz.

Damit geht auch eine Stärkung der außergerichtlichen Einigung einher. Über die kürzere Verfahrensdauer hinweg können auch bei sich verändernden Lebensumständen zuverlässigere Angebote unterbreitet werden.

Eine verkürzte Frist verbessert die Möglichkeiten der sozialen und wirtschaftlichen Rehabilitation erheblich. Dies gilt zum Beispiel für die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt oder auch für die Wohnungssuche. Diese Argumente sprechen auch gegen eine Verlängerung der Entschuldungsfrist für den Fall der nicht gedeckten Verfahrenskosten. In den Verfahren, in denen nach drei Jahren die Verfahrenskosten nicht ausgeglichen werden konnten, sollte die Rückzahlung der noch offenen Verfahrenskosten im Rahmen der Nachhaftung – analog § 4b InsO – geregelt werden. Die Nachhaftungsfrist sollte dann an die verkürzte Entschuldungsfrist angepasst werden.

Eine Verlängerung der Entschuldungsfrist aufgrund noch nicht gedeckter Verfahrenskosten würde dazu führen, dass insbesondere die Schuldner, die über keine oder nicht ausreichende eigene Mittel verfügen, länger in der Schuldenfalle verbleiben. Die positiven Wirkungen der Restschuldbefreiung würden dann später greifen und die beschriebene soziale Rehabilitation dieser Schuldner verzögern. Die Auswirkungen sind schon bei den aktuell geltenden Regelungen zu erkennen.

2. Offener Zugang zur Restschuldbefreiung muss erhalten bleiben

Der Zugang zur Restschuldbefreiung ist weiterhin niedrigschwellig und offen zu halten, um überschuldeten Personen eine zweite Chance einzuräumen und eine Eingliederung in den Wirtschaftskreislauf zu ermöglichen. Für die große Anzahl von Schuldnern, die über keine ausreichenden Mittel verfügt, ist ein Zugang zum Verfahren und somit zur Restschuldbefreiung ausschließlich über eine Stundung der Verfahrenskosten möglich. Dies zeigen die Erfahrungen vor der Einführung der Stundungsregelung im Jahr 2001.

3. Entschuldungsfrist auch für derzeit ausgenommene Forderungen

Die EU-Richtlinie ermöglicht den Mitgliedsstaaten, für diese Forderungskategorien längere Entschuldungsfristen festzulegen. Bisher sieht das deutsche Recht für diese Forderungen keine zeitliche Begrenzung vor. Eine mögliche Verjährung kann der Gläubiger dauerhaft verhindern. Dies bedeutet, dass diese Forderungen ein Leben lang weiterverfolgt werden können. Schuldner mit Forderungen, die nicht der Restschuldbefreiung unterfallen, haben daher keine Perspektive auf ein Leben ohne Schulden und Vollstreckung. Um zu verhindern, dass diese Schuldner lebenslänglich am Existenzminimum leben müssen, sollte auch bei ausgenommenen Forderungen eine zeitliche Begrenzung eingeführt werden, soweit nicht überwiegende Opferinteressen (etwa bei Körperverletzungsdelikten) entgegenstehen.

Dies könnte auch Forderungen betreffen, die von einem Dritten beglichen wurden und auf diesen übergegangen sind. Eine zeitliche Begrenzung halten wir gleichfalls bei Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen, die in der Zeit der Minderjährigkeit der Schuldner entstanden sind, für sinnvoll, um dem Resozialisierungsgedanken des Jugendstrafrechts auch im Zivilrecht Rechnung zu tragen.

Im Interesse der Rechtssicherheit ist es erforderlich, zudem eine Klagefrist für Gläubiger bei bestrittenen Forderungen einzuführen.

4. Keine Verschärfung des Versagungsrechts

Von Seiten der Gläubigerverbände wird vereinzelt eine Verschärfung des Versagungsrechts gefordert. Die letzte Reform führte schon zu einer Ausweitung und Verschärfung des Versa- gungsrechts. Die in der EU-Richtlinie genannten Gründe für den Ausschluss von der Entschuldung bzw. der Verlängerung der Entschuldungsfrist sind durch den § 302 InsO bereits erfüllt. Daher gibt es keine Erfordernisse, die Versagungstatbestände noch einmal auszuweiten. Das bisherige System hat sich bewährt.

5. „Fresh Start“ ist gefährdet, wenn Restschuldbefreiung verstärkt in Frage gestellt wird

Die Wirkung der Restschuldbefreiung wird durch Entscheidungen in der Sozialgerichtsbarkeit unterminiert. Es gibt Gerichte, die der Auffassung sind, dass ein Sozialleistungsträger – auch bei Forderungen, die der Restschuldbefreiung unterliegen – nach Erteilung der Restschuldbefreiung bei Leistungsbezug (z. B. in der Rente) weiter im unpfändbaren Bereich diese Forderung noch „beitreiben“ (auf- bzw. verrechnen) kann.

Im Ergebnis führt diese Rechtsprechung zu einer Sonderstellung für Sozialleistungsträger. Diese Sonderstellung sollte im Rahmen der Umsetzung der EU-Richtlinie unterbunden werden, bzw. eine entsprechende Klarstellung erfolgen. Darüber hinaus widerspricht die Möglichkeit einer Auf- bzw. Verrechnung nach Erteilung der Restschuldbefreiung der in Artikel 21 Abs. 1 normierten Entschuldung im vollen Umfang.

6. Harmonisierung von Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsrecht

Derzeit besteht insbesondere bei Kontopfändungen das Problem der Verstrickung. Eine vor Insolvenzeröffnung ausgebrachte Pfändungsmaßnahme bewirkt, dass ein Guthaben aufgrund der weiter fortbestehenden Verstrickung nicht ausgezahlt wird bzw. in die Insolvenzmasse fließt. Vor Eröffnung ausgebrachte Dauerpfändungen sollten daher mit der Insolvenzeröffnung unwirksam werden. Dies bezieht sich sowohl auf das Pfändungspfandrecht als auch auf die Verstrickung.

7. Einschränkung der Veröffentlichungsfrist nach Erteilung der Restschuldbefreiung

Die Auskunfteien (z. B. Schufa) speichern das Merkmal „Erteilung der Restschuldbefreiung“ für drei Jahre. Auch die von der Restschuldbefreiung erfassten Forderungen werden so lange gespeichert. Die gesetzlichen Löschungsfristen für elektronische Informationssysteme belau- fen sich demgegenüber vernünftigerweise auf sechs Monate (§ 3 InsoBekV).

Die lange Speicherfrist bei den Auskunfteien hat zur Folge, dass die Wirkungen der Restschuldbefreiung erheblich verzögert eintreten. Ein unbelasteter Start, wie ihn die EU-Richtlinie fordert, ist damit nicht möglich. In der Praxis der sozialen Schuldnerberatung ist zu beobachten, dass beispielsweise die Wohnungssuche nach Erteilung der Restschuldbefreiung durch das Negativmerkmal erheblich und unnötig erschwert wird, obwohl eine Rückkehr in geordnete finanzielle Verhältnisse stattgefunden hat.

Schlussbemerkung

Die Einführung der dreijährigen Entschuldungsfrist spätestens ab Juli 2021 führt unter Umständen bereits jetzt dazu, dass Verbraucher in Erwartung dieser kürzeren Frist außergerichtliche Einigungsverfahren oder /-Anträge auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens zurückstellen. Insbesondere ab 2020 ist zu befürchten, dass es zu einem nicht unerheblichen Rückgang der Verfahren bis zur Umsetzung der EU-Richtlinie kommen wird.

Eine schnelle Umsetzung der EU-Richtlinie schafft nicht nur für Verbraucher, sondern auch für alle an dem Verfahren Beteiligten Rechts- und Planungssicherheit.

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