Urteil des Bundessozialgerichtes vom 13.07.2010 (BSG – B 8 SO 14/09 R)
Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit seiner Entscheidung vom 13.07.2010 klargestellt, dass Menschen, die keine (ergänzenden) Leistungen nach dem SGB II erhalten, die Kosten für die Schuldnerberatung selbst tragen müssen. In den Vorinstanzen hatten die Gerichte noch entschieden, dass der zuständige Kreis die Kosten für die Beratung nach § 16 II Nr. 2 SGB II a.F. (§ 16a Nr. 2 SGB II) zu tragen habe. Nach der Entscheidung des BSG müssen die Kosten einer Schuldnerberatung für erwerbstätige Schuldnerinnen und Schuldner, die erwerbsfähig und nicht hilfebedürftig sind, vom kommunalen Leistungsträger nicht übernommen werden. Dieses Urteil kann dazu führen, dass Kommunen präventive Schuldnerberatung für erwerbstätige Schuldnerinnen und Schuldner generell nicht mehr finanzieren bzw. finanzieren wollen.
Entgegen der Auffassung einiger Kommunen ist – trotz des Urteils – eine kommunale Finanzierung der Beratung für erwerbstätige Schuldnerinnen und Schuldner möglich. Diesen Umstand verkennt auch das BSG in seiner o.g. Rechtsprechung nicht. Die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) ist der Auffassung, dass eine präventive Schuldnerberatung für Personen in finanziellen Notsituationen, die nicht den Anforderungen des SGB II oder XII unterliegen, weiterhin unabdingbar ist, um Schuldnerinnen und Schuldner zu stabilisieren und damit potenziellen Sozialleistungsbezug vermeiden zu helfen.
Argumente für eine Finanzierung der Schuldnerinnen und Schuldnerberatung für Erwerbstätige
Die folgende Positionierung macht deutlich, dass Schuldnerberatung für erwerbstätige Schuldnerinnen und Schuldner seitens der Kommunen weiterhin gefördert werden muss und kann:
- Das Sozialstaatsgebot verlangt, dass allen Schuldnern effektiv geholfen wird!
Eine wesentliche Kernaufgabe der Schuldnerberatung ist die Hilfe für natürliche Personen, die sich in einer schuldenbedingten Notlage befinden oder denen dieses droht. Bezogen auf erwerbstätige Schuldnerinnen und Schuldner heißt dies auch, die Arbeitskraft zu erhalten bzw. perspektivisch zu verbessern, den Verlust des Arbeitsplatzes nach Möglichkeit zu verhindern und damit den Leistungsbezug nach SGB II oder SGB XII zu vermeiden. Somit leistet die Schuldnerberatung einen wichtigen Beitrag zur Erfüllung der Kernaussagen der §§ 1 und 3 SGB II, nämlich der Vermeidung von Hilfebedürftigkeit. In diesem Sinne ist Schuldnerberatung als ein Baustein der Daseinsfürsorge des Sozialstaates anzusehen.
Gleichermaßen widerspricht es dem Sozialstaatsgebot, dass Menschen mit Erwerbseinkommen, die aber auf Grund von Pfändungen an der Pfändungsfreigrenze leben müssen, der Zugang zur Beratung verwehrt wird.
Bereits kurze Zeit nach Inkrafttreten der SGB II-Gesetzgebung im Jahr 2005 haben sowohl der Deutsche Verein als auch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in ihren Handlungsempfehlungen deutlich gemacht, dass auch Personen, die nicht in unmittelbarem Leistungsbezug stehen, auf Grundlage von § 1 und § 3 SGB II präventive Leistungen zur Eingliederungshilfe (z. B. Schuldnerberatung) erhalten sollen, wenn diese die Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit unterstützt oder zur Vermeidung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Diese Position wurde seinerzeit auch vom damaligen Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit vertreten. Das BSG hat in seinem Urteil die geltenden gesetzlichen Regelungen anders interpretiert. Dies macht deutlich, dass es einer gesetzlichen Klarstellung bedarf, um den Willen des Gesetzgebers eindeutig zu manifestieren. - Gründe für eine einheitliche pauschale Finanzierung von Schuldnerberatung.
Die Entscheidung des Bundessozialgerichts ist ein Plädoyer für eine einheitliche pauschale Finanzierung der Schuldnerberatung sowohl für Personen, die im Leistungsbezug stehen, als auch als präventive Beratung für erwerbstätige Schuldnerinnen und Schuldner. So verweist das Urteil ausdrücklich darauf, dass eine kostenfreie Beratung ohne Prüfung der Bedürftigkeit immer dann möglich ist, wenn der SGB II-Träger mit den Trägern der Schuldnerberatungsstelle eine entsprechende vertragliche Abrede getroffen hat (siehe auch Rixen in Eicher/Spellbrink, a.a.O, § 17 Rand-Nr. 5 ff).
Schuldnerberatung versteht sich als persönliche Hilfe und ist grundsätzlich ein ergebnisoffener Prozess. Dieser Charakter ist nur mit einer pauschalen Finanzierung dieses Beratungsangebots seriös zu gewährleisten. Der offene Zugang von Erwerbstätigen in die Schuldnerberatung kann jedoch auch mittels Einzelfallpauschalen, die ausdrücklich die Beratung von erwerbstätigen Schuldnerinnen und Schuldnern zulassen, vertraglich gesondert geregelt werden. - Das Urteil des BSG ist eine Einzelfallentscheidung
Das BSG hat in seiner Entscheidung über einen Einzelfall entschieden. Verallgemeinerungen des Urteils auf alle erwerbstätigen Schuldnerinnen und Schuldner sind nicht zulässig, aber in allen vergleichbaren Fällen würde das BSG ähnlich entscheiden. Eine Übertragung des Urteils auf alle erwerbstätigen, überschuldeten Personen, z.B. solche, die kein pfändbares Einkommen haben, würde eine besondere Härte darstellen. Ihnen ist es eben nicht möglich die Beratung aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Regelmäßig verfügen die Schuldnerinnen und Schuldner über keinen finanziellen Spielraum zur Finanzierung einer Schuldnerberatung aufgrund anderer existenzieller Zahlungsverpflichtungen (wie z. B. Pfändungen, Miete und Energiekosten sowie Lebensmittel). - Die Finanzierung von Schuldnerberatung für Erwerbstätige entspricht dem wirtschaftlichen Interesse öffentlicher Haushalte.
Es macht für öffentliche Haushalte vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Erwägungen keinen Sinn, ausschließlich für Personen im laufenden Transferleistungsbezug Schuldnerberatung zu finanzieren. Vielmehr liegt es in Ihrem Interesse, Arbeitslosigkeit und somit den Sozialleistungstransfer durch Schuldnerberatung zu vermeiden, da ansonsten eine erheblich höhere Belastung der öffentlichen Haushalte die Folge wäre. Es ist sogar wirtschaftlich und haushaltsrechtlich geboten, eine präventive Schuldnerberatung zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zu finanzieren. Auf diese Möglichkeit weist das BSG in seinem Urteil hin. - Der Zugang zur Schuldnerberatung muss niedrigschwellig sein.
Das BSG setzt sich in seinem Urteil gar nicht bzw. lebensfremd mit den psychosozialen Folgen der Überschuldungssituation der Betroffenen auseinander. Es kommt lediglich zu dem Ergebnis, dass erwerbstätige Überschuldete eigenständig in der Lage seien, ihre Überschuldungssituation in den Griff zu bekommen. Außerdem ist die Ansicht des BSG praxisfern, dass überschuldete Betroffene nach dem Verlust des Arbeitsplatzes aus eigener Kraft befähigt seien, ihre Hilfebedürftigkeit zu beenden und die durch Schulden entstandene Notlage dauerhaft zu überbrücken.
Ein niedrigschwelliger Zugang zu einer Schuldnerberatung ist unverzichtbar. Durch eine frühzeitige Schuldnerberatung wird gerade den Erwerbstätigen wieder eine Lebensperspektive aufgezeigt. Die Chance auf einen schuldenfreien Neuanfang gibt den Betroffenen das Gefühl, ihre Erwerbstätigkeit lohne sich wieder. Für den Erhalt des Arbeitsplatzes ist dieser persönliche Aspekt ebenso wichtig wie für den Erfolg der Entschuldung im Rahmen einer Schuldnerberatung (z. B. durch Einwirkung auf Arbeitgeber und Gläubiger, um Maßnahmen wie Lohn- und Gehaltspfändungen zu verhindern bzw. einzuschränken oder auch den Arbeitgebern die Sorge vor aufwändigen Pfändungsmaßnahmen zu nehmen). - Fazit
Schuldnerberatung ist eine öffentliche Pflichtaufgabe, deren Finanzierung, gerade in Bezug auf erwerbstätige Schuldnerinnen und Schuldner, im Interesse der öffentlichen Haushalte liegt. Auch wenn das BSG bejaht, dass eine pauschale Finanzierung des erwerbstätigen Personenkreises möglich ist, wird deutlich, dass sowohl das SGB II als auch das SGB XII Lücken aufweist. Es entspricht nicht der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers, dem erwerbstätigen Personenkreis mit der Einführung der Vorschriften des SGB II und des SGB XII generell den Zugang zur Schuldnerberatung zu verwehren. Um einem zu engen Verständnis der Behörden von dem gesetzgeberisch Gewollten entgegenzutreten, ist eine gesetzliche Klarstellung erforderlich. Solange dies nicht erfolgt ist, sprechen genügend Argumente dafür, auch erwerbstätigen Schuldnerinnen und Schuldnern einen kostenfreien Zugang zur Schuldnerberatung zu ermöglichen